Konflikte online bearbeiten

In den zurückliegenden Jahren sammelten viele Organisationen und Berater die Erfahrung: Konflikte können auch online bearbeitet werden. Das ist insbesondere bei virtuellen und hybriden Teams oft nötig.

„Konflikte klärt man im persönlichen Gespräch.“ Dieser Auffassung waren vor zwei, drei Jahren noch die meisten Konfliktberater. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 wurden zahllose Konfliktgespräche und -beratungen erfolgreich online geführt – unter anderem, weil seitdem die Mitarbeiter vermehrt in virtuellen oder hybriden Teams arbeiten, deren Mitglieder sich nie oder nur sporadisch persönlich treffen. Deshalb setzte sich in der (Konflikt-)Beraterszene die Erkenntnis durch: Das Online-Coachen und -Beraten bereichert unseren Werkzeugkoffer – auch aufgrund der positiven Resonanz der Kunden. Diese meldeten oft zurück, Online-Beratungen seien leichter in ihren Alltag zu integrieren und hätten eine ebenso hohe Wirkung wie Präsenz- bzw. Face-to-face-Beratungen.

Rahmenbedingungen erfordern ein anderes Vorgehen

Bei einer digitalen Zusammenarbeit sind jedoch die Rahmenbedingungen teils anders. Deshalb ist auch bei Konflikten ein teils anderes Vorgehen nötig.

  1. Spontane, informelle Treffen fehlen

Bei der klassischen Zusammenarbeit treffen sich die Kollegen im Büroflur oder in der Kaffeeküche oder Kantine mehr oder minder oft zufällig. Bei diesen Treffen erfolgt auch eine informelle Kommunikation á la

  • „Hast du schon gehört, dass …“ oder
  • „Wie findest du, dass …“

In ihr werden für den Zusammenhalt wichtige Informationen geteilt; zudem wird so manch potentieller Konflikt im Vorfeld geklärt. Bei der digitalen Zusammenarbeit fehlt dieser spontane informelle Austausch weitgehend.

  1. Vertrauen wächst online schwerer

Die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche und weitgehend konfliktfreie Zusammenarbeit ist Vertrauen. Vertrauen hat jedoch auch eine körperliche Dimension. Man denke nur an den Handschlag bei Verhandlungen. Diese fehlt bei der digitalen Zusammenarbeit und Kommunikation. Deshalb ist sie meist komprimierter und weniger dialogisch als die persönliche. Darum entstehen auch häufiger Missverständnisse, die nicht selten zu Konflikten führen.

  1. Routinen fürs digitale Konfliktmanagement fehlen

Im klassischen Betriebsalltag haben sich mit der Zeit Routinen etabliert wie mit (potenziellen) Konflikten umgegangen wird – so zum Beispiel, dass der Teamleiter im wöchentlichen Meeting unter dem Tagungsordnungspunkt „Verschiedenes“ nachfragt: „Und, wie klappt es nun mit der wechselseitigen Information?“ Oder dass die Mitarbeitenden bei unklaren Sachverhalten zu ihrem Kollegen im Nachbarbüro gehen und ihn bitten „Könnten Sie mir mal kurz erklären,…“.

Bei der digitalen Zusammenarbeit haben viele Personen und Organisationen noch keine entsprechenden Routinen entwickelt. Sie wissen zudem nicht:

  • Worauf sollten wir bei online geführten Konfliktgesprächen achten? Und:
  • Wie können wir dafür sorgen, dass mittelfristig auch in unseren virtuellen oder hybriden Teams eine konstruktive Konfliktkultur entsteht?

Beim Beantworten solcher Fragen können Berater Unternehmen unterstützen, sofern sie mit den Besonderheiten der digitalen Zusammenarbeit und Konfliktberatung vertraut sind.

Online fühlen sich die Konfliktparteien oft sicherer

Generell gilt: Beim Online-Kommunizieren ist unsere Wahrnehmung des Gegenübers stets reduzierter als bei einer Face-to-face-Kommunikation. Zudem können die Teilnehmer, wenn es das Gefühl haben „Jetzt wird es eng“, jederzeit das Gespräch verlassen – zum Beispiel, indem sie die Kamera ausschalten oder sich vom Monitor entfernen. Deshalb fühlen sich viele Menschen beim Online-Kommunizieren sogar sicherer als in der persönlichen Kommunikation. Deshalb ist auch ihre Hemmschwelle niedriger, sich zu offenbaren und Konflikten zu stellen. Darauf weisen medienpsychologische Erkenntnisse hin. Deshalb kann die Online-Kommunikation für eine Konfliktklärung und -bearbeitung sogar von Vorteil sein.

Eine gewisse Digitalkompetenz ist nötig.

Beim Online-Bearbeiten von Konflikten darf jedoch nicht einfach vorausgesetzt werden, dass alle Konfliktbeteiligten die Spezifika eines videobasierten Gesprächs kennen – also zum Beispiel wissen, wie man die Technik handhabt. Hier ist eine Vorabinformation nötig. Dies gilt auch bezüglich solcher Faktoren, wie der Positionierung vor der Kamera. Sie ist für eine gute Sichtbarkeit, die Vertrauen schafft, wichtig. Zeigt das Kamerabild zum Beispiel auch die Hände der Teilnehmer, ist für die anderen sichtbar, dass die betreffende Person parallel nicht mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist. Dies wird als Zeichen einer ungeteilten Aufmerksamkeit gewürdigt. Deshalb sollte man im Vorfeld auch über die Kameranutzung sprechen und in den Online-Sitzungen selbst auf eine gute Beleuchtung der Teilnehmenden achten.

Konfliktgespräche im digitalen Raum erfordern eine aktivere Moderation als Face-to-face-Gespräche. Der Moderator sollte darauf achten, dass alle Konfliktparteien ähnliche Redeanteile haben. Zudem sollte er darauf achten,

  • ob sich jemand auffällig zurückzieht,
  • ob auf Aussagen, Statements eingegangen wird und
  • wie die Gesprächspartner mit Emotionen umgehen.

Grenzen des digitalen Konfliktmanagements

Nicht jeder Konflikt lässt sich online bearbeiten. Generell gilt: Je komplexer und emotionaler ein (Konflikt-)Thema ist, umso eher sollte die Konfliktberatung oder -moderation im Präsenzraum erfolgen.

Konflikte lassen sich grundsätzlich nur lösen, wenn alle

Konfliktparteien ein ehrliches Interesse daran haben. Das gilt auch im digitalen Kontext. Zudem mindern folgende Faktoren die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen digitalen Konfliktbearbeitung:

  • Fehlende oder ausgeschaltete Kameras. Ohne Videobilder fehlen die nonverbalen Kommunikationskanäle, die vor allem für den emotionalen Ausdruck wichtig sind.
  • Geringe Moderationserfahrung. Eine digitale Konfliktmoderation erfordert Erfahrung – nicht nur im Umgang mit der Digitaltechnik. Der Moderator muss auch wissen, welche Konflikte online bearbeitbar sind. Zudem bedarf es einer gewissen Erfahrung und Kreativität, die in Face-to-Face-Settings genutzten Konfliktlöse-Techniken soweit möglich in die Online-Welt zu übertragen.
  • Sprachliche Einschränkungen der Konfliktparteien. Personen mit einer geringen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit fällt es online noch schwerer sich anderen Personen verständlich zu machen.
  • Schlechtes technisches Equipment. Neben einer stabilen Internetverbindung sind gute Kameras und Mikrophone von Vorteil.
  • Unzulängliche räumliche Infrastruktur. Auch Online-Beratungen erfordern eine störungsfreie Umgebung, die Diskretion gewährleistet. Inwieweit diese gegeben ist, sollte im Vorfeld geklärt werden.

Zuweilen lehnen Personen eine Online-Konfliktberatung oder -moderation ab, weil sich noch – wie viele Berater vor zwei, drei Jahren – der grundsätzlichen Überzeugung sind: Diese setzt eine persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch voraus. Dann gilt es, sie behutsam an das ungewohnte Medium heranzuführen.

Autorin: Sabine Prohaska

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