Viele „Krankheiten“, unter denen die Mitarbeiter von Unternehmen leiden, wie psychische Erkrankungen sowie Rücken- und Herz-Kreislaufbeschwerden, haben ihre Wurzeln auch in deren Privatleben. Diesem Befund muss die betriebliche Gesundheitsförderung Rechnung tragen.
Zugluft. Giftige Dämpfe. Ohrenbetäubender Lärm. Solche „Krankmacher“ am Arbeitsplatz können Unternehmen leicht identifizieren. Ebenso verhält es sich, wenn ein Mitarbeiter in der Produktion sich beim Stanzen die Hand quetscht. Dann ist sofort klar, wodurch der Unfall verursacht wurde, Also können die Unternehmen auch unmittelbar Gegenmaßnahmen ergreifen.
Anders verhält es sich bei der Büroarbeit – egal, ob sie im Betrieb oder im Homeoffice erfolgt. Bei ihr ist oft nicht auf den ersten Blick erkennbar, was die Gesundheit der Mitarbeiter belastet. Trotzdem gibt es auch bei der Büroarbeit „Krankmacher“ – jedoch teils andere als in der Produktion. Das zeigt ein Blick auf die häufigsten Erkrankungen von Büromitarbeitern. Neben Infektionskrankheiten sind dies
- Erkrankungen der Wirbelsäule und des Bewegungsapparats,
- Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen sowie
- psychosomatische Erkrankungen.
Diese „Zivilisationskrankheiten“ verursachen fast 80 Prozent der krankheitsbedingten Fehltage – auch weil ihr Verlauf oft chronisch ist.
Mit der Prävention frühzeitig beginnen
Deshalb sollte ihre Prävention möglichst früh beginnen. Darüber sind sich die Experten einig. Weniger klar ist aber: Wie können sie vermieden werden? Denn diese Erkrankungen haben oft keine eindeutige und alleinige Ursache. So werden zum Beispiel viele Herzkreislauf- und psychosomatische Erkrankungen durch Stress (mit-)verursacht. Dieser kann jedoch durch viele Faktoren – zum Beispiel Termindruck, Überforderung – ausgelöst werden. Hinzu kommt: Was eine Person als Stress erlebt, ist subjektiv. Der eine Mitarbeiter denkt, wenn er eine neue Aufgabe erhält, „Toll, endlich kann ich mich beweisen“; den anderen packt das panische Gefühl „Das schaffe ich nie“. Solche persönlichen Denk- und Verhaltensmuster spielen beim Stressempfinden eine wichtige Rolle.“
Diese Denk- und Verhaltensmuster zeigen die Mitarbeiter aber nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in ihrer Freizeit. Wer im Beruf schnell gestresst ist, ist auch privat zumeist kein ruhender Pol. Berufliches und Privates sind folglich in der Regel eng verwoben, wenn es um den Krankmacher „Stress“ geht.
Dies gilt auch für die anderen Risikofaktoren, die häufig die genannten Zivilisationskrankheiten auslösen. Zum Beispiel eine ungesunde Ernährung. Wer in der Kantine mit Vorliebe Fleisch und Pommes isst, ist meist auch zuhause kein Salat- und Körneresser. Ähnlich verhält es sich mit dem Bewegungsmangel. Viele Büroarbeiter verbringen auch Freizeit weitgehend sitzend – zum Beispiel im Auto, vor dem Fernseher oder vor der Spielekonsole.
Deshalb kommen Unternehmen mit einem Präventionskonzept, das sich ausschließlich auf das gesundheitsgerechte Gestalten der Arbeitsplätze konzentriert, nicht weit. Sie sollten den Menschen als Ganzen im Blick haben. Auf das, was ihre Mitarbeiter in ihrer Freizeit tun, haben die Unternehmen aber keinen direkten Einfluss. Sie können ihnen nicht vorschreiben: Höre auf zu rauchen oder gehe zwei Mal pro Woche joggen. Solche Verhaltensänderungen lassen sich nicht per Dekret verordnen. Sie sind nur möglich, wenn die Mitarbeiter deren Nutzen erkennen und eine Verhaltensänderung als persönlichen Gewinn erfahren. Deshalb orientieren sich heute die meisten Gesundheitsförderkonzepte der Unternehmen nicht mehr vorrangig am Ziel „Krankheit vermeiden“. Sie zielen vielmehr darauf ab, das Wohlbefinden, die Leistungskraft und die Lebensfreude der Mitarbeiter zu fördern und zu bewahren.
Die Leistungskraft und Lebensfreude fördern und bewahren
Dies geht nur, wenn die Mitarbeiter aktiv mitarbeiten. Zum Beispiel in Gesundheitszirkeln, die auch online stattfinden können; Gesprächskreisen also, bei denen die Mitarbeiter selbst ermitteln, welche Faktoren ihr Wohlbefinden negativ beeinflussen und wie diese beseitigt werden können. So geraten auch Krankmacher in den Blick, die Außenstehende nur schwer erkennen. Zum Beispiel Mängel in der Kommunikations- und Führungskultur. Oder Arbeitszeiten und Personaleinsatzpläne, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter zuwiderlaufen. Auch sie können das Wohlbefinden der Mitarbeiter schmälern. Deshalb kommt man beim Thema Gesundheitsförderung mit Patentrezepten nicht weit.
Trotzdem lassen sich einige Faktoren benennen, die moderne Präventionskonzepte auszeichnen. Sie setzen zum Beispiel nicht rein auf Information. Denn Wissen allein veranlasst Menschen meist nicht dazu, ihr Verhalten zu ändern. Das zeigt das Beispiel Rauchen. Heute weiß jeder, dass das Rauchen der Gesundheit schadet. Trotzdem griffen 2019 noch 23 Prozent der Erwachsenen in Deutschland regelmäßig zum „Klimmstengel“. Das zeigt: Gesundheitsförderkonzepte, die rein auf Information setzen, sind selten von Erfolg gekrönt. Deshalb enthalten sie oft auch die Elemente Training und Diagnostik.
Neue Denk- und Verhaltensmuster trainieren
Diagnostische Elemente, wie zum Beispiel das Bestimmen der Blutwerte, sind sinnvoll, weil bei vielen noch nicht erkrankten Personen das subjektive körperliche Empfinden und die objektiven Gesundheitsdaten auseinander klaffen. So reagiert zum Beispiel eine 35-jährige, vor Energie strotzende Führungsraft, wenn man ihr sagt, dass Herzinfarkte die häufigste Todesursache bei Männern unter 60 sind, meist nur mit einem schulterzuckenden „Na und“. Präsentiert man derselben Person aber ihre Gesundheitsdaten, die zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, in den kommenden Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden, bei ihr deutlich höher als beim Bevölkerungsdurchschnitt ist, reagiert sie betroffen. Dann fragt sie fast automatisch nach: Und was sollte ich tun, um den Infarkt zu vermeiden?
Dann genügt es keinesfalls der Führungskraft zu sagen „ Sie sollten sich gesünder ernähren und mehr bewegen sowie für eine angemessene Entspannung sorgen, denn das wissen heute die meisten. Wichtig ist es vielmehr, der Person beispielsweise zu zeigen, wie sie Sport treiben sollte, damit dies ihre Gesundheit fördert; außerdem ihr Techniken zu vermitteln, wie sie entspannen kann – auch am Arbeitsplatz oder zwischen zwei Terminen.
Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle
Ein weiteres Merkmal fast aller modernen Gesundheitsförderkonzepte ist: Die Führungskräfte spielen in ihnen eine Schlüsselrolle, denn sie prägen weitgehend die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Gibt ein „Chef“ keine klaren Anweisungen und wissen die Mitarbeiter nicht, was sie zu tun haben, erzeugt dies bei ihnen Stress. Ebenso ist es, wenn der „Chef“ Mitarbeiter für Fehler regelmäßig an den Pranger stellt. Dann plagt sie die Angst: Hoffentlich mache ich keinen Fehler. Ihr Wohlbefinden fördert es auch nicht, wenn im Unternehmen das Credo herrscht: Je länger ein Mitarbeiter im Büro bzw. am Schreibtisch sitzt, umso wertvoller ist er. Denn dann ist absehbar, dass das Leben der Mitarbeiter aus der Balance gerät. Sei es, weil sie kaum noch Zeit für ihre Familie, ihre Hobbys oder zum Entspannen haben.
Entsprechend wichtig ist es, die Führungskräfte für die Themen Gesundheit und Work-Life-Balance zu sensibilisieren. Denn sie haben eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter – in positiver und negativer Hinsicht. Das haben die meisten Unternehmen erkannt. Deshalb gibt es inzwischen in den meisten Großunternehmen spezielle Gesundheitsförderprogramme für deren Führungskräfte – auch weil die Betriebe wissen, welche direkten und indirekten Mehrkosten ihnen entstehen, wenn ein Leistungsträger für längere Zeit ausfällt.
Herausforderung: Alle Mitarbeiter erreichen
Probleme bereitet es vielen Unternehmen aber noch, die Gesundheitsförderung auf die gesamte Belegschaft auszudehnen. Nicht selten beschränkt sich diese für das Gros der Mitarbeiter noch auf eine Vielzahl willkürlich anmutender Einzelmaßnahmen – angefangen von Stress-Management-Seminaren bis hin zu Infoveranstaltungen zum Thema Ernährung. All diese Maßnahmen sind sinnvoll, und es ist gut, dass sie von den Unternehmen angeboten werden. Doch leider entfalten sie oft nicht die gewünschte Wirkung, weil sie in kein stimmiges Gesamtkonzept eingebettet sind.
Eine Schlüsselrolle beim Erstellen solcher Konzepte spielen häufig die Gesundheitsberichte der Krankenkassen. Ihnen können die Unternehmen entnehmen, unter welchen Erkrankungen ihre Mitarbeiter im Vorjahr litten und in welchen Bereichen sie gehäuft auftraten. Zudem geht aus ihnen hervor: Welche Verschiebungen ergaben sich zum Vorjahr? Und: Unter welchen Krankheiten leiden die Mitarbeiter anderer vergleichbarer Betriebe?
Ein Manko der Gesundheitsberichte ist jedoch: Sie stützen sich nur auf Krankheitsdaten. Aus ihnen geht zum Beispiel nicht hervor, wie viel Prozent der Mitarbeiter unter Stress leiden, wie viele einen zu hohen Blutdruck haben und wie viele übergewichtig sind – Informationen, die für die Präventionsarbeit wichtig sind. Deshalb führt eine wachsende Zahl von Unternehmen regelmäßig so genannte Screening-Aktionen durch. Bei diesen können die Mitarbeiter, anonym und freiwillig, beispielsweise ihre Blutwerte oder ihren Körperfett-Anteil ermitteln lassen.
Die dabei gewonnenen Daten fließen in eine zentrale Datenbank ein, so dass das Unternehmen anschließend zum Beispiel weiß: Etwa 30 Prozent unserer Mitarbeiter haben einen erhöhten Gesamtcholesterinwert; 40 Prozent leiden unter Übergewicht. Ein weiteres Instrument, um die gewünschten Infos zu gewinnen, sind Befragungen der Mitarbeiter, bei denen diese zum Beispiel gefragt werden,
- ob sie unter Stress leiden,
- was bei ihnen Stress auslöst und
- worin sich Stress bei ihnen zeigt.
Solche Befragungen sind gerade in Zeiten, in denen sich aufgrund der vermehrten Arbeit im Homeoffice, die Rahmenbedingungen der Arbeit vieler Mitarbeiter sehr stark geändert, sehr sinnvoll, denn: Mit den dabei gewonnenen Informationen können auf den Bedarf der Mitarbeiter abgestimmte Fördermaßnahmen entwickelt werden.
Auch auf den individuellen Bedarf eingehen
Diese gehen jedoch noch nicht auf individuellen Bedarf des Einzelnen ein. Schließlich können zum Beispiel die bekannten Stress-Symptome wie Verspannungen, Magenbeschwerden und Überreizung die unterschiedlichsten Ursachen im beruflichen und privaten Bereich haben. Ebenso verhält es sich, wenn sich bei einer Person das Gefühl verdichtet: Alles wächst mir über den Kopf. Dann kann eine Ursache hierfür auch sein, dass die pubertierenden Kinder nur noch „nerven“.
Solche Faktoren können in (Online-)Seminaren und Meetings, an denen viele Personen teilnehmen, meist nicht thematisiert werden – vor allem, weil sie zu stark die Privatsphäre der Mitarbeiter tangieren. Deshalb offerieren immer mehr Unternehmen ihren Mitarbeitern auch die Möglichkeit, anonym einen Gesundheitscoach zu kontaktieren, um
- mit ihm zu analysieren, was sie warum belastet, und
- mit ihm individuellen Aktionsplan zu entwerfen.
Mit einer entsprechenden Kombination von Fördermaßnahmen haben viele Unternehmen positive Erfahrungen gesammelt, vor allem weil sie das Präventionsangebot für alle Mitarbeiter mit einer individuellen Förderung und Unterstützung verknüpfen.
Über die Autorin:
Sabine Machwürth ist geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D), die Unternehmen u.a. beim Entwickeln, Implementieren sowie Realisieren maßgeschneiderter (digitaler und hybrider) Gesundheitsförderprogramme unterstützt.