Der Vertrieb der Zukunft wird ein hybrider sein. Davon ist der Vertriebsberater Peter Schreiber überzeugt.

Daraus erwachsen zwar neue Anforderungen an die Verkäufer. Trotzdem können sie auf den künftig hybriden Vertrieb freuen. 

Der Arbeitsalltag vieler B2B-Verkäufer hat sich durch die Corona-Pandemie stark verändert. Bis zu ihrem Ausbruch rasten sie frühmorgens, oft noch vor dem Morgengrauen auf die nächstgelegene Autobahn oder eilten mit ihrer Rollis zum Check-in-Schalter im nahegelegenen Flughafen.

Heute hingegen fahren sie nicht selten Stunden später an ihren Schreibtischen im Betrieb oder Homeoffice allmählich ihre PCs hoch, während neben ihnen eine Tasse Kaffee dampft, um für die erste Video- oder Telefonkonferenz bereit zu sein. Und abends sitzen sie nicht mehr in den Bars der Hotels, in denen übernachten müssen. Sie verbringen die Abendstunden stattdessen zuhause im Kreis ihrer Liebsten, zupfen vor Sonnenuntergang noch Unkraut in ihrem Garten oder gehen anderen Tätigkeiten zur Entspannung nach.

Corona hat den Arbeitsalltag der Verkäufer verändert

Fast könnte man meinen: „Oh, wie schön ist das Verkäuferleben seit Corona außer den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch den Vertrieb verändert hat.“ Doch von einer solch positiven Grundstimmung ist im Kontakt mit B2B-Verkäufern oft wenig zu spüren. In vielen corona-gebeutelten Branchen klagen die Verkäufer vielmehr, wie schlecht bzw. unsicher die aktuelle wirtschaftliche Situation sei. Das ist aus ihrer Warte verständlich ist, denn: Das Einkommen der Verkäufer hängt meist auch vom Umsatz und Ertrag ab.

Zudem stöhnen die Verkäufer branchenübergreifend darüber, wie stressig es sei, täglich stundenlang in Videokonferenzen zu sitzen und Kunden weitgehend online zu akquirieren und zu betreuen. Diese Klage hat ihre Ursache primär darin, dass

  • für viele Verkäufer diese Form der Marktbearbeitung sowie Kundenakquise und -pflege noch relativ neu ist, weshalb sie diesbezüglich noch kaum Routine entwickelt haben, und
  • sie noch nicht erkannt haben, welche Chancen das Internet und die Social Media B2B-Verkäufern bieten, sich über ihre Zielkunden und deren Probleme zu informieren, um ihnen danach kundenspezifische Angebote zu unterbreiten, so dass sich ihre Erfolgschancen erhöhen.

Die Digitalkompetenz der Verkäufer muss sich erhöhen

Generell gilt branchenübergreifend für den Verkauf von Industriegütern und -dienstleistungen auch in Corona-Zeiten: Die Kunden kaufen diese fast nie spontan. Ihrem Kauf geht, sofern es sich nicht um Ersatzteile oder -beschaffungen handelt, in der Regel ein längerer Verkaufsprozess voraus. In ihm haben die Verkäufer viele (Teil-)Aufgaben, die sie computer- bzw. netzgestützt mit etwas Kreativität oft besser und einfacher erfüllen können, sofern sie die erforderliche Digitalkompetenz haben. Hierfür einige Beispiele.

Aufgabe: Ermitteln und Bearbeiten erfolgsversprechender Zielkunden

Heute stützen sich Verkäufer bei der Marktbearbeitung meist noch primär auf die Adressen in den Kundendatenbanken und CRM-Systemen ihrer Unternehmen. Und wenn sich darin zu wenig brauchbare Adressen für die Neukundenakquise befinden? Dann kauft ihr Unternehmen von einem Händler „neue“ hinzu – Adressen, die meist so „neu“ sind, dass sie schon Hunderte anderer Unternehmen nutzen. Entsprechend genervt reagieren die Zielpersonen, wenn man sie kontaktiert.

Dabei bringt eine clevere Google-Suchabfrage, beispielsweise mit Formulierungen wie „Top 100 Logistikdienstleister“ oder „Größte Maschinenbauunternehmen Deutschland“ meist ausreichend neues Akquise-Potenzial. Wahre Fundgruben sind auch die Internetseiten von Verbänden, denn dort sind häufig die Namen der Mitgliedsunternehmen publiziert – mit den Namen der Ansprechpersonen und deren Mailadressen. Ähnlich verhält es sich bei den Webseiten von (Online-)Fachmessen und -kongressen. Dort findet man oft die Namen der ausstellenden oder teilnehmenden Unternehmen. Eine reine Fleißarbeit ist es dann, die Namen der firmeninternen Ansprechpartner zu ermitteln, zumindest bei Klein- und Mittelunternehmen, denn: Im Impressum ihrer Webseiten stehen die Namen ihrer Inhaber oder Geschäftsführer.

Bei größeren Unternehmen erfordert das Ermitteln der Ansprechpartner etwas mehr Zeit. Möchte man diese nicht per Telefon erkunden, sind solche Sozialen Netzwerke wie LinkedIn mit ihren verschiedenen Selektionsfunktionen hierbei wertvolle Tools, denn viele Entscheider sind in ihnen Mitglied.

Aufgabe: im Markt Flagge zeigen und ihn erkunden

Die Sozialen Netzwerke bieten Verkäufern auch die Möglichkeit, Mitglied in solchen Interessengruppen wie „Automatisierung Industrie“ oder „Energieeffizienz-Lösungen“ zu werden. Dort können sie ohne Streuverluste Fachinformationen in Verbindung mit ihren Kontaktdaten platzieren.

Einige Unternehmen haben die Chancen erkannt, die die Mitgliedschaft in solchen Interessengruppen bietet. Sie sorgen dafür, dass in allen relevanten Gruppen (Vertriebs-)Mitarbeiter von ihnen vertreten sind – nicht nur um zu ermitteln, welche Unternehmen sich für den Kauf ihrer „Problemlösungen“ interessieren könnten. Sie wollen auch erkunden, welche Fragen zum Beispiel den Automatisierungsexperten oder IT-Verantwortlichen in den Unternehmen auf den Nägeln brennen, um hieraus

  • Ideen für neue Produkte und Problemlösungen und
  • Verkaufsargumente für ihre bereits vorhandenen

abzuleiten.

Aufgabe: sich über die potenziellen Kunden informieren

Dass Verkäufer, bevor sie potenzielle Kunden kontaktieren, sich über deren Unternehmen im Internet informieren sollten, ist bekannt. Doch hinter einer professionell gestalteten und Größe suggerierenden Firmen-Webseite kann sich eine Garagenfirma verbergen. Umgekehrt stecken hinter unprofessionell wirkenden Webseiten oft große Mittelständler, die in ihrer Nische Marktführer sind. Deshalb lohnt es sich, Firmenadressen zum Beispiel bei Google-Earth einzugeben. Dann zeigt die Firma oft ihr wahres Gesicht.

Besonders im Argen liegt bei vielen Verkäufern das Sich-informieren über die Gesprächspartner beim Kunden:

  • Welche beruflichen Werdegänge haben sie?
  • Was sind ihre Interessen?
  • Waren sie zuvor für Unternehmen tätig, die wir kennen?
  • In welchen Verbänden sind sie Mitglied?

Ein Verkäufer, der dies weiß, kann seine Gesprächspartner besser einschätzen und sich auf sie einstellen. Deshalb lohnt es sich vor (Online-)Kundenterminen, die Namen der Partner zu googeln; außerdem zu checken, ob sie Mitglieder bei solchen Netzwerken wie LinkedIn und XING sind. Dort findet man in den Mitgliederportraits oft viele relevante Infos über sie.

Aufgabe: Präsentationen und Angebote individualisieren

Von den Marketingabteilungen ihrer Unternehmen erhalten die Verkäufer oft nur allgemeingültige Unterlagen als Verkaufshilfen; kundenspezifisch individualisieren müssen sie diese selbst. Logos und Fotos des Kunden finden sich schnell im Internet und lassen sich mit „Strg C“ und „Strg V“ oder einem Snipping-Tool unkompliziert in die Unterlagen einfügen. Verkäufer, die ihre PC- und Laptop-Programme beherrschen, schaffen das noch kurz vor Beginn einer Online-Konferenz oder eines Video-Calls.

Aufgabe: Auftrags- und Preisverhandlungen zum Erfolg führen

Egal, wie groß das Auftragsvolumen ist, Menschen kaufen stets bei Menschen; Ausnahmen sind Submissionen und E-Auktionen. Je besser Verkäufer ihr Gegenüber einschätzen können, desto größer sind ihre Chancen, den Auftrag zu erhalten. Dabei allein auf vermeintlich bessere Features zu setzen, ist fahrlässig: Gesprächspartnerorientierung und Beziehungsmanagement sind gefragt. Mit Hilfe der sozialen Netzwerke können Verkäufer auch überraschend bei einer Online-Konferenz anwesende, zum Buying-Center gehörende Verhandlungspartner recherchieren und Ansatzpunkte für einen Beziehungsaufbau finden – sei es parallel zum Gespräch oder in einer Konferenzpause.

Aufgabe: Kundenkontakte auf- und ausbauen

Verkaufsprofis wissen: Menschen kaufen am Liebsten bei Personen, die sie kennen und einschätzen können. Und: Die meisten Kaufempfehlungen werden in Netzwerken ausgesprochen. Deshalb bauen sie auch in den Sozialen Netzwerken systematisch ihr Beziehungsnetzwerk aus. Sie posten in ihm gemäß der Maxime „mäßig, aber regelmäßig“ immer wieder fachliche und unterhaltsame Infos, sodass sie den Kontaktpersonen bei den Unternehmen, die bereits Kunde sind, in Erinnerung bleiben und sich bei den Noch-nicht-Kunden allmählich einen Namen machen. Sie nutzen also das Internet und die Social Media aktiv, um Kundenkontakte und -beziehungen auf- und auszubauen.

Der Vertrieb der Zukunft wird ein hybrider sein

Je besser Verkäufer mit den von den Unternehmen genutzten Kollaborationtools wie teams und digitalen Informations- und Kommunikationstools vertraut sind, umso effektiver und effizienter können sie nicht nur, solange Corona uns bedroht, ihre Vertriebsarbeit gestalten. Auch danach wird dies der Fall sein. Denn aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Zeit haben auch die Einkäufer in den Unternehmen erkannt, dass die Online-Information und -Kommunikation auch Vorzüge hat. Zudem haben in den Betrieben statt der besuchsgewohnten Babyboomer zunehmend Angehörige der Generation Y und Z die Entscheiderpositionen inne, die mit (potenziellen) Lieferanten oft bevorzugt digital kommunizieren. Deshalb wird der Vertrieb der Zukunft branchen- und geschäftsfeld-abhängig ein mehr oder minder hybrider sein.

Das heißt, die Einkäufer und Verkäufer werden sich zwar auch künftig noch persönlich treffen – sei es um sich kennenzulernen oder im Face-to-face-Kontakt knifflige Fragen zu beantworten bzw. „Probleme“ zu lösen. Ansonsten wird ihre Kommunikation aber weitgehend digital und per Telefon erfolgen. Das setzt bei den Verkäufern eine erhöhte Digitalkompetenz und zum Teil auch neue Vertriebsstrategien und Verhaltensroutinen voraus. Ansonsten können sie sich aber auf den hybriden Vertrieb freuen, denn: Weil sie nicht mehr permanent auf Achse sind, wird ihr Arbeitstag künftig geregelter und planbarer sein. Und hierdurch wird sich auch ihre Work-Life-Balance verbessern.

Über den Autor:

Schreiber, PeterPeter Schreiber ist Inhaber der B2B-Vertriebs- und Managementberatung PETER SCHREIBER & PARTNER in Ilsfeld bei Heilbronn. Er ist u.a. Dozent an der IHK-Akademie München in Westerham und Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim.

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