Aktuell herrscht in vielen Unternehmen eine Aufbruchsstimmung in Zusammenhang mit dem digitalen Lernen. Beim Umsetzen ihrer Ideen und Konzepte im E-Learning-Bereich erliegen sie jedoch oft fünf Irrtümern, die Frust bei allen Beteiligten erzeugen.
E-Learning-Irrtum 1: Die Inhalte der bisherigen Präsenzseminare können 1:1 im virtuellen Raum abgebildet werden.
Nicht selten hegen Unternehmen beim Umstellen ihrer Trainings- und Personalentwicklungsprogramme auf E-Learning-Formate die Illusion: Wir können unsere bisherigen Konzepte 1:1 in die digitale Welt übertragen. Das funktioniert nicht! Denken Sie Ihr Konzept völlig neu. Tun Sie so, als habe zum Beispiel die Präsenzvariante Ihres Seminars nie existiert.
Nutzen Sie das Entwickeln Ihres E-Learning-Angebots als Chance, um den erforderlichen Veränderungen beim Lernen und Lehren in der modernen Arbeitswelt Gestalt zu geben. Diese beziehen sich nicht nur auf die Qualifizierungskonzepte, Lehrformen und Lernszenarien, sondern auch den zeitlichen und organisatorischen Ablauf. Das erfordert auch, die Struktur und Aufbereitung der Lernmaterialien, die Formulierung der Aufgaben sowie die Kommunikation und Betreuung der Lernenden zu überdenken.
Lassen Sie sich gerade zu Beginn der Umstellung nicht von der rasch aufkommenden Euphorie aufgrund der vielen, bereits existierenden technischen Möglichkeiten infizieren. Handeln Sie nach dem Prinzip der kleinen Schritte. Ihr neues E-Learning-Angebot sollten Sie langsam und bewusst entwickeln, und es sollte stets den aktuell bestehenden Rahmenbedingungen in Ihrem Unternehmen entsprechen.
E-Learning-Irrtum 2: Interaktion kommt im virtuellen Raum von selbst in Gang.
Leider reicht es nicht, ein Forum oder einen Chat für die Kommunikation mit den Teilnehmenden und zwischen ihnen einzurichten und schon werden diese Tools rege genutzt. Diesen Prozess müssen Sie als Bildungsverantwortlicher oder Trainer aktiv steuern. Zudem sollten sie in den Qualifizierungsangeboten auch persönlich präsent sein. Achten Sie zum Beispiel als Kursmoderator in Ihren Kursen darauf, dass Sie vor allem zu deren Beginn dort sichtbar sind und kurbeln Sie die Kommunikation mit eigenen Posts an – zum Beispiel mit Fragen, Erfahrungsberichten und Zusatz-Infos. Das Signal, das bei den Teilnehmenden ankommen muss, ist: „Hier tut sich etwas! Es lohnt sich, hier aktiv zu sein!“
Stellen Sie ihnen auch Aufgaben, wie zum Beispiel in Posts ihre Erwartungen und Lernerfahrungen publik zu machen oder dass jeder zu mindestens zwei, drei Einträgen der Kollegen ein Statement abgibt. So locken Sie die Lernenden einige Male sicher ins Forum. Den Rest erledigt dann das positive Gefühl, dass jemand ihren Eintrag wahrnimmt und kommentiert. Nach zwei, drei geplanten Intervention dieser Art laufen die Einträge in den Foren und Chats meist fast wie von selbst.
E-Learning-Irrtum 3: Unterschätzen der Bedeutung des Wir-Gefühls.
Viele Personalentwickler und Trainer fokussieren sich zurzeit stark auf den technischen Aspekt des Online-Lernens. Sie vergessen jedoch den Menschen dahinter. Menschen sind soziale Wesen. Das ändert sich auch durch die fortschreitende Digitalisierung nicht. Deshalb sollte Ihnen die humane Gestaltung der neuen, digitalen Lernwelt ein wichtiges Anliegen sein.
Die Verantwortlichen dürfen die Lernenden mit ihren persönlichen Bedürfnissen nicht aus den Augen verlieren, wenn sie wirkungsvolle Lernangebote konzipieren wollen. Das betrifft auch den Auftritt der Trainer oder Kursmoderatoren in den digitalen Lernangeboten. Wie präsent und ansprechbar sind sie zum Beispiel auch in den asynchronen Phasen – also wenn die Teilnehmenden nicht zeitgleich online lernen?
Grundsätzlich gilt: Beim Design eines Online-Kurses oder E-Learning-Programms sollte stark darauf geachtet werden, inwieweit dieses eine Interaktion und Kollaboration zulässt.
E-Learning-Irrtum 4: Die Bearbeitungszeit wird mit der Lernzeit gleichgesetzt.
Zeit ist Geld – diese Maxime gilt meist in unserer Arbeitswelt. Also werden auch Lernzeiten gemessen und Bildungsprozesse diesbezüglich optimiert. Doch das Lernen lässt sich nicht so mechanistisch „vertakten“ wie das Zusammenbauen einer Maschine. Es braucht seine Zeit.
Dass die Lerner bei E-Learning-Programmen zeit- und ortsunabhängig Zugriff auf die Lernmodule und -inhalte haben, verspricht zwar eine höhere Effektivität, doch Vorsicht: Die Bearbeitungszeit darf nicht mit dem wirklichen Lernen verwechselt werden. Lernen bedeutet „Zeit lassen, nehmen und geben“. Lernen braucht Zeit; es bedarf des Innehaltens und der Reflexion.
Künftig werden sich zwar das Arbeiten und das Lernen in unserem Alltag stärker vermischen, trotzdem sollten Sie beim Erstellen von digitalen Lern- und Qualifizierungsangeboten darüber nachdenken: Welche Inhalte sind für welche Zeiten am besten geeignet? Alles, was eine tiefe Reflexion und Abstand zum Nachdenken braucht, sollte in Ruhe in den Randzeiten oder außerhalb der (offiziellen) Arbeitszeiten stattfinden.
Generell gilt: Lernen braucht Muße! Zeitdruck und Stress sind für alle Lernprozesse kontraproduktiv.
E-Learning-Irrtum 5: Digital aufbereitete Lerninhalte stimulieren Menschen automatisch zum selbstorganisierten Lernen.
Bei digitalen Lernprojekten zeigt sich immer wieder: Niemand verirrt sich zufällig in ein E-Learning-Programm, und die Begeisterung bei der Neueinführung digitaler Lernformate hält sich bei den avisierten Teilnehmern meist in Grenzen. Neues macht vielen Menschen eben Angst.
Ob E-Learning- oder Blended-Learning-Arrangements funktionieren, hängt stark von der Vorerfahrung der Teilnehmer und deren Motivation ab. Selbst wenn ein Programm in anderen Firmen großartig funktioniert, heißt dies noch nicht, dass es auch in Ihrem Betrieb gut läuft. Ihr Programm muss punktgenau zu Ihrem Bedarf, Ihrer Zielgruppe und vor allem Ihrer Unternehmenskultur passen.
Achten Sie bei E-Learning Prozessen verstärkt darauf, dass Sie Ihre Mitarbeiter vollumfänglich ins Boot holen. Fragen Sie sich zum Beispiel, ob Ihre Mitarbeiter oder Kollegen überhaupt über die Kompetenz verfügen, mit den digitalen Angeboten und dem damit verknüpften Lernen wirkungsvoll umzugehen. Dieses Thema muss unternehmensintern geklärt werden – das erfordert auch Fingerspitzengefühl. Denn beim Einführen neuer Lernformate gilt es auch, die Lerngewohnheiten und -biografien der Adressaten zu beachten. Was in der Theorie oft so einfach klingt, ist für viele Menschen mit einer anderen schulischen Biografie als die Profis im Bildungsbereich nicht selten völlig ungewohnt. In der Schule gaben die Lehrer und später im Betrieb die Führungskräfte oder Trainer den Umfang und Inhalt des Lernens vor. In der modernen E-Learning-Welt sollen die Lerner sich nun plötzlich die Lernzeiten selbst einteilen und auch noch selbst für ihre Motivation sorgen. Damit haben viele Menschen keinerlei Erfahrung. Also konnten sie auch noch keine entsprechenden Lernstrategien entwickeln. Deshalb ist seitens des Unternehmens auch Geduld und Verständnis gefragt.
Auch wichtig: Die E-Learning-Formate stärker promoten.
Wichtig ist auch, die digitalen Lernprojekte gezielt zu vermarkten. Sie müssen firmenintern aktiv promotet werden – zum Beispiel mit motivierenden Seminar- und Kursankündigungen oder Statements von Kollegen, die von ihren Erfahrungen in und Erfolgen nach absolvierten Online-Angeboten berichten; im Audio-, Video- oder reinen Textformat. Auch Videostatements der Trainer können das Interesse an einer Teilnahme wecken.
Bei aller anfänglichen Skepsis, die man in Unternehmen oft beim Einführen neuer, digitaler Lern-Arrangements erlebt, erweist sich das Lernen im virtuellen Raum letztlich stets als eine positive Erfahrung für alle Beteiligten. Hat eine Person zum Beispiel einen Online-Kurs aktiv mitgemacht, sind in der Regel all ihre Bedenken verflogen und die Begeisterung für das Online-Lernen ist fortan groß.
Den Unternehmen bzw. Bildungsverantwortlichen muss es also primär gelingen, die neuen Lernformate und -designs den Adressaten schmackhaft zu machen. Der Rest spricht dann, sofern das Programm und seine Inhalte zielgruppengerecht gestaltet sind, für sich.
Autorin: Sabine Prohaska