„Zombies“ in der gängigen Management-Diskussion

Ich gestehe: Grusel- bzw. Horrorfilme waren mir schon immer ein Graus. Deshalb weiß ich zum Beispiel nicht, ob „reitende Leichen“ zu den „Zombies“ zählen oder nicht. Gerne lasse ich mir dies von einem Fachmann erklären.

Was ich jedoch weiß, ist, dass durch die von den Beratern befeuerte Management-Debatte schon vor der Corona-Krise einige „Zombies“ sowie „tote und halbtote Leichen“ galoppierten, die durch die Krise endlich als solche enttarnt werden. Einige bekannte seien hier genannt.

  • Agilität: Was dieser Begriff bedeutet bzw. genau beinhaltet, habe ich nie verstanden, obwohl ich als Ghostwriter für Kunden viele, auch häufig publizierte Artikel zu diesem Thema schrieb. Dass man bei komplexen Projekten und Vorhaben „iterativ“ und „inkrementell“ vorgehen sollte, war für mich, bis mich die „Agilen Jünger“ eines besseren belehrten, eigentlich selbstverständlich. Neu war für mich nur die Terminologie. Und dass der von der Führung vorgegebene Korridor, in dem die Mitarbeiter selbst entscheiden können, abhängig von deren Aufgabe und Kompetenz mal breiter und mal schmaler sollte, zählte für mich zum kleinen 1×1 der Personalführung. Dasselbe gilt für die Berateraussage „Der Mindset der Mitarbeiter – insbesondere der Führungskräfte – in den Unternehmen muss sich top-down ändern“. Schließlich schreibe ich diese als „Lohnschreiber“ seit über 30 Jahren in gefühlt jedem 2. Artikel – gerade so, als hätte sich in diesem Zeitraum in den Unternehmen nichts verändert.
  • Holacracy: Wie diese Organisationsform in Unternehmen, die größer als eine 3-4-Mann-Frau-Klitsche sind, funktionieren soll, war und bleibt mir ein Rätsel, unter anderem, weil ich mich stets frage: Wer hackt dann bei schwierigen, unternehmerischen Entscheidungen, die man so oder so treffen kann, den Knoten durch? Oder wer trifft dann zum Beispiel in Krisenzeiten wie den aktuellen solche Entscheidungen wie: Wir entlassen Mitarbeiter? Die betroffenen Mitarbeiter selbst? Oder wer entscheidet: Wir legen das Projekt xy, weil es aktuell zu viele Ressourcen und zu viel Liquidität bindet, auf Eis? Die betroffenen Projektmitarbeiter selbst?
  • Leadership: Kein anderes Pferd wurde in letzten Jahren von der Beraterzunft wohl so ausdauernd geritten wie das Thema Leadership – mit sich wandelnden Atttributen: Mal Digital, mal Agile Leadership; mal Mindful, mal Transition Leadership. Vielleicht durchaus berechtigt, denn dass sich, wenn die Arbeitsbeziehungen und -strukturen in den Unternehmen vernetzter werden und die Arbeitsinhalte komplexer werden, auch Führung ändern muss, ist klar – auch um die „intrinsische Motivation“ der Mitarbeiter zu bewahren. Doch leider wurde in der Debatte oft vergessen, dass das Leader-sein zum erfolgreichen Führen von Unternehmen oder Unternehmensbereichen allein nicht recht. Vielmehr ist eine gute Führungskraft stets zugleich auch Manager, also Entscheider und Macher, und (disziplinarischer) Vorgesetzter. Und in der Krise? In ihr sind gerade die (Top-down-)Entscheider- und Macher-Qualitäten wieder verstärkt gefragt, denn ohne sie können Führungskräfte weder die Krise managen, noch ihren Mitarbeitern den eventuellen Weg aus ihr aufzeigen – also ihre Leaderfunktion wahrnehmen.
  • Nachhaltigkeit: Dieser Begriff war für mich schon stets, wenn er aus dem Mund von an der Börse notierten Kapitalgesellschaften kam, nichts anderes als ein Label, das – sofern zielführend – zur Verkaufsförderung genutzt wird, denn: Was ist der Zweck einer Kapitalgesellschaft? Wie es der Name schon sagt: Das Kapital der Shareholder und deren Rendite zu mehren – sonst nix. (Herr Friedrich Merz, bis vor wenigen Wochen Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock Deutschland, kann das bestätigen.) Deshalb war das Einzige, was der „Leistung-muss-sich-lohnen-Partei“ FDP zum Bewältigen der Corona-Krise bisher einfiel, auch: Das Klimapaket der Bundesregierung muss wieder aufgeschnürt werden und die Wirtschaft von allen sie lähmenden Fesseln befreit werden. „Gell, Christian (Lindner), da hast Du mal wieder was Schlaues – und dasselbe wie vor der Krise – gesagt. Kannst stolz auf Dich sein!“
  • New Work und New Deal: Das Geschwafel über diese Themen habe ich nie verstanden, denn: Unternehmen bzw. die Beziehungen in ihnen sind primär Zweckgemeinschaften auf Zeit: Sie sind keine familiären Bande, die im Idealfall „bis dass der Tod euch scheidet“ tragen. Daran wird sich nie etwas ändern. Und die genannten Vorbilder für ein New Work? Sie sind in der Regel irgendwelche Agenturen, für die viele Freelancer und Praktikanten arbeiten – meist unter 30, ohne familiäre Verpflichtungen und noch in der Selbstfindungsphase. Sie haben mich nie überzeugt. Vielmehr klang das Gelobte für mich entweder nach einer ideologisch verbrämten (Selbst-)Ausbeutung oder einem von einem Braintrust der Jammerlappen-Partei FDP entwickelten Konzept für einen völlig entfesselten Neo-Kapitalismus.

Mehr in „Sowohl-als-auch“-Kategorien denken

Um nicht falsch verstanden zu werden: Alle oben genannten Themen bzw. Debatten haben in der von rascher Veränderung geprägten VUKA-Welt ihre Berechtigung, denn sie setzen einen neuen Fokus zum Beispiel in der Diskussion über solche Themen wie Führung oder Zusammenarbeit. Doch leider wurden sie von den selbsternannten „Evangelisten“ unter den Beratern oft mit so viel ideologischen Ballast überzogen, dass sie den Charakter von Glaubensbekenntnissen annahmen und man des „Pudels Kern“ nicht mehr sah.

Außerdem wurden die Debatten über sie oft mit einer „Entweder-oder“ statt einer „Sowohl-als-auch“-Logik geführt, die der Komplexität unserer heutigen Wirtschaft und Gesellschaft eher angemessen wäre.

Dessen ungeachtet stecken hinter allen vorgenannten Themen Problem- bzw. Spannungsfelder in Unternehmen. Über diese wird die Debatte weitergehen, wenn auch vermutlich oft mit einer anderen Terminologie und hoffentlich einer anderen Akzentsetzung.

Autor: Bernhard Kuntz

Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie einen Kommentar:

Please enter your comment!
Please enter your name here