„Unsere Führungskräfte sollen ihre Mitarbeiter coachen.“ Das fordern heute viele Unternehmen. Doch können Führungskräfte diese Anforderung überhaupt erfüllen? Ja, wenn man den Begriff „coachen“ mit „anleiten“ übersetzt und den Führungskräften die nötige Unterstützung gewährt.
An Führungskräfte werden heute viele Anforderungen gestellt. Sie sollen „Entrepreneurs“ sein, also unternehmerisch handeln. Sie sollen „Leader“ sein, also Persönlichkeiten, an denen sich ihre Mitarbeiter orientieren können. Und der neueste Schrei: Sie sollen Coachs ihrer Mitarbeiter sein, also diese in ihrer Entwicklung fördern und beim Erbringen ihrer Leistung unterstützen.
Viele Führungskräfte vergessen aufgrund dieser Vielfalt an Aufgaben ihre Kernaufgabe. Sie lautet schlicht, dafür sorgen, dass ihr Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Dieser Aufgabe ordnen sich alle anderen Führungsaufgaben unter – auch das Fördern der Mitarbeiter.
Führungskräfte sind auch Vorgesetzte
Trotzdem findet man die Aussage „Unsere Führungskräfte sollen Coachs ihrer Mitarbeiter sein“ in den Führungsleitlinien vieler Unternehmen – auch weil diese oft nicht ausreichend bedenken, dass ihre Führungskräfte auch die disziplinarischen Vorgesetzten ihrer Mitarbeiter sind. Als solche entscheiden sie weitgehend über deren berufliches Fortkommen. Das wissen auch die Mitarbeiter. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber ihren Vorgesetzten auch von taktischen Erwägungen geprägt. Kaum ein Mitarbeiter würde zum Beispiel, solange er keine Job-Alternative in der Tasche hat, offen zu seinem Chef sagen „Meine Arbeit macht mir keinen Spaß“. Oder: „Ich bin überfordert.“ Zu Recht! Denn zu viel Offenheit schadet dem beruflichen Fortkommen.
Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist keine familiäre. Ein Vater fördert seine Kinder, damit aus ihnen Persönlichkeiten werden, die ihr Leben mit Erfolg gestalten. Anders ist dies bei einer Führungskraft. Sie fördert ihre Mitarbeiter primär, um zu erreichen, dass diese mehr Leistung erbringen.
Das Coachen ist meist ein Anleiten
Das steckt der Coachingfunktion von Führungskräften enge Grenzen. Sie beschränkt sich weitgehend darauf, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten. Doch genau dies ist in Unternehmen heute vielfach verpönt. Denn Anleiten wird häufig mit Anweisen gleichgesetzt. Fälschlicherweise! Denn Anleiten bedeute nicht, anderen Personen Befehle zu erteilen, sondern ihnen die nötige Hilfestellung zu geben – fachlich und mental.
Hinzu kommt: Das Anleiten wird weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. Zu Unrecht! Denn was tut ein Anleiter? Er kaut seinen Schützlingen nicht die Lösung vor. Er fragt sie vielmehr: „Wie würden Sie diese Aufgabe angehen?“ Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und wenn er sieht, dass die ihm anvertrauten Personen Unterstützung brauchen, dann gibt er ihnen diese, bevor er sich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt. Doch damit ist der Job des Anleiters nicht beendet. Ein guter Anleiter fragt beim Umsetzen auch immer wieder nach „Gibt es Probleme?“, „Was haben Sie zwischenzeitlich erreicht?“, um bei Bedarf unterstützend einzugreifen. So stellt er sicher, dass seine Schützlinge Lernprozesse durchlaufen und die gewünschten Ergebnisse erzielen.
Auch erfahrene Mitarbeiter brauchen Unterstützung
Auch erfahrene Mitarbeiter brauchen eine solche Anleitung – speziell dann, wenn sie neue Aufgaben übernehmen, mit denen sie noch wenig Erfahrung haben. Sonst bleibt es dem Zufall überlassen, welche Arbeitsergebnisse die Mitarbeiter erzielen. Und genau dies soll vermieden werden, wenn gefordert wird: Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter coachen. Dann heißt das übersetzt: Führungskräfte, bietet euren Mitarbeitern die Unterstützung, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen – zum Beispiel, indem ihr ihnen das noch fehlende Know-how vermittelt.
Über die Autorin:
Julia Voss ist Geschäftsführerin des Trainings- und Beratungs-unternehmens Voss+Partner, Hamburg