Um den komplexen Anforderungen gerecht zu werden, führen derzeit sehr viele Unternehmen Agilität ein. Bei diesem kulturverändernden Change Prozess braucht es neben dem Kennenlernen von agilen Arbeitsmethoden vor allem die Etablierung eines agilen Mind-Sets in der Organisation. Worauf bei der Einführung von Agilität im Unternehmen konkret zu achten ist, erklärt die Organisationsberaterin Susanne Alt von S.ALT & MORE.
Weiterbildungsmarkt.net: Was sind konkrete Auswirkungen in Unternehmen durch die Veränderungen im Rahmen der VUCA-Welt und der vermehrten Agilität?
Susanne Alt: Der Begriff VUCA-Welt (= volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) steht für eine Welt, in der das Leben und damit auch das Arbeiten zunehmend unbeständige, unsichere, komplexe, mehrdeutige bzw. ungewisse Bedingungen und Anforderungen an uns stellt. Für viele Unternehmen zeigt sich diese Welt in Form von rasch ändernden und oft unvorhersehbaren Forderung auf Seiten der Kunden und der Gesellschaften. In dieser Umwelt kann bestehen, wer schneller auf sich ändernde Kundenwünsche eingehen kann, kreativer Fragestellungen bearbeitet und dazu aktive Mitarbeit nutzt. Die Einführung von Agilität in Unternehmen hat genau das zum Ziel.
Die sog. „klassische“ Organisation der Arbeit über Hierarchien und Prozesse ist oft zu wenig beweglich, eher träge als rege und hinderlich für rasche, kreative Lösungen. Agilität in Unternehmen einzuführen bedeutet nach Prinzipien, statt nach engen Vorgaben zu arbeiten. Dies soll zu schnelleren Reaktionszeiten, kreativem Umgang mit komplexen Fragestellungen und erhöhter Selbststeuerung der Mitarbeitenden führen. Es entsteht eine größere Kunden- und Nutzenorientierung in der Arbeit, meist verbunden mit höherer Motivation der Mitarbeitenden.
Weiterbildungsmarkt.net: Was beobachten Sie bei Führungskräften und Mitarbeitern wenn Agilität eingeführt wird?
Susanne Alt: Das ist sehr verschieden. Die Begriffe agile Organisation, agile Führung und agile Arbeitsmethoden werden unterschiedlich verstanden. Wenn die Veränderung hin zum agilen Unternehmen gut läuft, ist dies verbunden mit einer neuen Arbeitsweise, die motivierend wirkt. Mitarbeitende bekommen mehr verantwortungsvolle Gestaltungsräume, ein offener Austausch von Lernerfahrung und Entwicklung wird gefördert, ein vertrauensvolles Miteinander wird möglich. Ich nenne es die Stärkung der professionsbezogenen Autonomie.
Ein solcher Change kann jedoch auch dazu führen, dass Führungskräfte und Mitarbeitende sich zwischen dem alten und dem neuen System aufreiben. Gibt es beispielsweise genügend Vertrauen, so dass die Führungskraft Verantwortung im Sinne von selbstgestaltetem Arbeiten zulässt und die Mitarbeitenden diese Verantwortung auch aufnehmen? Oder wird der Begriff Verantwortlichkeit eher als Fingerzeigs verwendet, wenn es nicht so gut läuft?
Eines der agilen Prinzipien heißt „früh und kontinuierlich dem Kunden ein Ergebnis auszuliefern“. Der Fokus liegt auf Schnelligkeit vor Perfektion. Wir arbeiten mit Piloten im Kleinen, um gemeinsam mit dem Kunden an diesen zu lernen und zu verbessern. So entsteht mit mehreren kleinen Schritten ein passendes Gesamtergebnis. Das Endprodukt sollte insgesamt schneller und mit höherer Kundenzufriedenheit, als im Vergleich zur „klassischen“ Herangehensweise, entstehen. Dies bedeutet für Führungskräfte und Mitarbeitende, dass Lernen erlaubt sein muss.
Agilität in Unternehmen einzuführen, braucht sowohl den Blick auf notwendige Veränderungen der Organisation als auch den Blick für notwendige neue Lernerfahrungen der Menschen in Bezug auf ihre Arbeit. Einerseits werden Elemente der Organisation, wie Hierarchieebenen, Rollen, Prozesse u.a. reduziert, nach dem Motto „weniger ist mehr“. Andererseits wird die Art der Zusammenarbeit verändert. Agiles Führungsverständnis, agile Rollen, mehr Teamwork und agile Arbeitsmethoden verändern die Arbeitsbeziehungen.
Wenn bei diesen Veränderungen die bestehende Unternehmenskultur nicht berücksichtigt wird, kann eine Situation entstehen, die von den Menschen im Unternehmen als hochgradig unsicher, riskant und orientierungslos erlebt wird. Dies kann hinderliche Emotionen wie Angst, Hilflosigkeit oder Ärger auslösen. Wichtig ist daher zu erkennen, dass die Einführung des agilen Gedankens zu einem Kulturwandel führt, der auf allen Unternehmensebenen begleitet werden sollte.
Weiterbildungsmarkt.net: Wie sollte Agilität im Unternehmen eingeführt werden? Welche Anforderungen ergeben sich dabei an Führungskräfte? Mit welchen Widerständen ist zu rechnen und wie kann diesen begegnet werden?
Susanne Alt: Wichtig ist, die Einführung von Agilität als einen kulturverändernden Change Prozess zu verstehen. Dieser geht über die Setzung einzelner Maßnahmen wie das Training von agilen Arbeitsmethoden oder die Einführung eines agilen Führungsverständnisses hinaus. Sinn, Orientierung und die Erlaubnis neue Erfahrungen zu machen müssen vom Top Management gegeben und vorgelebt werden. Und es braucht ausreichend Zeit, um die Entwicklung für ein neues Mindset zur neue Arbeitsform zu ermöglichen.
Bei der Einführung von agilen Prinzipien im Unternehmen wird oft von „Transformation“ als von „Change“ gesprochen. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass es nicht darum geht alles auf einmal umzukrempeln. Zunächst geht es darum, anhand eines Piloten zu lernen, wie es ist, nach agilen Prinzipien zu arbeiten, wie es sich auf Organisation und Menschen auswirkt und wo die spezifischen Lernaufgaben dieser Organisation sind. Um dann mit diesen Lernerfahrungen weitere Bereiche im Unternehmen zu verändern bzw. zu transformieren.
Führungskräfte benötigen die Fähigkeit und die Räume zur Reflexion, um diese Veränderung sowohl für sich selbst, als auch für die Mitarbeitenden hilfreich gestalten zu können.
Widerstand kann in für Veränderungsprozesse bekannten Formen auftreten: Von „Ohne mich. Ich mache alles so wie bisher.“ über „Ich tue ja was ich kann, doch es kommt nichts dabei raus.“ bis zu erhöhten Fehlzeiten – um nur ein paar Formen zu nennen. Hilfreich beim Umgang mit Widerstand ist der Grundgedanke: „Der Widerstand ist nicht da, weil mein Gegenüber nicht will oder kann. Der Widerstand ist ein Zeichen eines noch nicht erkannten und nicht berücksichtigten Bedürfnisses.“ Das kann das Bedürfnis nach Sicherheit, Klarheit, Vertrauen, Wertschätzung für bisheriges u.a. sein. Dies gilt es gemeinsam zu ergründen.
Weiterbildungsmarkt.net: Welche Rahmenbedingungen braucht es in Unternehmen, um Agilität leben zu können?
Susanne Alt: Im Wesentlichen braucht es eine verantwortungs- und vertrauensbasierte Unternehmenskultur. Für viele Unternehmen bedeutet das einen Kulturwandel. Um ein neues Verständnis für Verantwortung und Vertrauen zu etablieren braucht es nicht nur Veränderungen in Hierarchien und Rollen, sondern bei den Führungskräften und Mitarbeitenden, ein neues Verständnis von professionellem Handeln, von Zusammenarbeit und der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen. Notwendig sind die Erlaubnis und der Wille zum Lernen – beim Einzelnen und als Gruppe. Für´s Lernen ist eine Feedback Kultur wichtig, die auf Erlaubnis zur Rückmeldung, auf Wertschätzung gegenüber dem/der Anderen und der Grundhaltung, unterstützend sein zu wollen, beruht. Ich nenne das eine „OK-Haltung“ gegen-über mir selbst und meinem Gegenüber einzunehmen.
Weiterbildungsmarkt.net: Wie können Trainings bei der Umsetzung von Agilität helfen?
Susanne Alt: Um mehr Agilität ins Unternehmen zu bringen, ist es hilfreich Führungskräfte und Mitarbeitende zu befähigen, sowohl ihre Arbeitsweise, als auch ihre innere Haltung neu auszurichten. Daher kann man von zwei Ausrichtungen in den Trainings sprechen: Zum einen werden in Seminaren agile Arbeitsmethoden und Techniken zum Einsatz in Besprechungen, Workshops, Kommunikationssituationen oder auch neue Rollendefinitionen vermittelt. Damit diese agilen Arbeitsweisen nachhaltig greifen können, braucht es zum anderen auch eine Auseinandersetzung mit der inneren Haltung zum professionellen Tun. Die Arbeit an diesem persönlichen Mindset kann über einen Mix aus Präsenztrainings, Eigen- und Peergruppenarbeit und supervisorischer Begleitung erfolgen.
Weiterbildungsmarkt.net: Was bringen Sie den Teilnehmenden in den Trainings bei?
Susanne Alt: Mein Trainingsschwerpunkt liegt auf einer wesentlichen Basis für agiles Zusammenarbeiten: dem Umgang mit Verantwortung und der Gestaltung von Vertrauen im Arbeitskontext. Führungskräfte und Mitarbeitende brauchen dazu einen neuen Zugang. Und dafür ist es hilfreich Impulse zu erhalten, wie Verantwortung und Vertrauen mit Blick auf die Organisation und den Menschen zu verstehen ist und wie dies gestaltet werden kann.
In den Trainings arbeite ich mit erlebnisorientierten Aufgaben, welche anschließend mit Blick auf die eigene Praxis reflektiert werden. Praxisfälle der Teilnehmenden, welche supervisorisch in der Gruppe bearbeitet werden, stellen den Realitätsbezug her. Dies wird ergänzt durch kurze Theorieimpulse aus der Organisationstheorie, Gehirnforschung und Psychologie oder auch einer agilen Arbeitsmethode, die gleich ausprobiert wird und in der Praxis eingesetzt werden kann.
Weiterbildungsmarkt.net: Welche weiteren Maßnahmen wären noch hilfreich?
Susanne Alt: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Mindset kann nicht „über Nacht“ also durch ein oder zwei Seminartermine erfolgen. Es braucht Zeit, in der die innere Haltung zum professionellen, agi-len Arbeiten geklärt wird. Dies erfolgt über die Reflexion von neuen Erfahrungen und neuen Handlungsweisen.
Passend zu den agilen Prinzipien kann dazu genutzt werden: learning-by-doing und anschließend über die gemachten Erfahrungen reden. Die erfolgt in Team- und Gruppensupervision, geleitet von ausgebildeten Supervisoren/Supervisorinnen. Die Teilnehmenden reflektieren über Fallarbeit ihre Erfahrungen. Dabei können auch hinderliche Aspekte aus dem organisatorischen Rahmen oder dem eigenen Mindset sichtbar gemacht und, soweit möglich, bearbeitet werden. Gleichzeitig erlernen die Teilnehmenden wichtige Skills wie z.B. Reflexionsfähigkeit, schwierige Dinge in der Gruppe ansprechen und schwierige Situationen unter anderen Blickwinkeln zu beleuchten.
Weiterbildungsmarkt.net: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Über die Interviewpartnerin:
Susanne Alt – Unter dem Namen S.ALT & MORE bietet sie Dienstleitungen als Organisationsberaterin, Trainerin, Supervisorin und Coach an. Sie begleitet Menschen und Unternehmen bei ihren Entwicklungsprozessen. Als lehrende Transaktionsanalytikerin, eine Richtung aus der Humanpsychologie, bildet sie Menschen in Transaktionsanalyse (TA) aus. „Die Auseinandersetzung mit den Modellen und Grundhaltungen der TA fördert die persönliche Autonomie und schafft ein umfassendes Verständnis, wie im professionellen Kontext Arbeitsbeziehungen nachhaltig und vertrauensbasiert gestaltet werden können. Das hat mir mehr Zufriedenheit und Erfolg gebracht. Diese Erfahrung möchte ich anderen ermöglichen.“
Weitere Informationen über DI Susanne Alt und S.ALT & MORE