Mangelware Wertschätzung

Wo Anerkennung für erbrachte Leistungen fehlt, sinkt die Einsatzbereitschaft und die Identifikation mit dem Unternehmen. Gleichzeitig erhöht sich die Wechselbereitschaft des Einzelnen. Alles und jeden über den grünen Klee zu loben, kann dennoch nicht die Lösung sein. Tatsächlich erfordert es vielmehr ein Bewusstsein für die Instrumente der Wertschätzung – und für die kleinen, aber entscheidenden Unterschiede bei der Anwendung.

Es geht ein Riss durch Deutschlands Büros und Produktionshallen. Wunsch und Wirklichkeit, Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen gehörig auseinander. Nur jeder fünfte Arbeitnehmer gibt für den alljährlichen Gallup Engagement Index an, dass die Führung, die er bei der Arbeit erlebt, ihn motiviere, hervorragende Arbeit zu leisten. Selbst in der Gruppe der treuesten Mitarbeiter erfahren das nur zwei Drittel. Eine andere Umfrage unter Arbeitnehmern in Deutschland und Österreich zeigte, dass im Schnitt zweieinhalb Monate zwischen zwei positiven Rückmeldungen lagen. Und während 81 Prozent der Vorgesetzten der Meinung waren, häufig Lob und Anerkennung auszusprechen, waren 67 Prozent der Arbeitnehmer ohne Führungsposition der Meinung, selten oder nie Anerkennung zu erhalten (Quelle: Kraftwerk Anerkennung). Dabei gilt die Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern als wichtige Stellschraube für die emotionale Bindung der Belegschaft ans Unternehmen. Und die ist ein relevanter Kostenfaktor: Der Gallup Engagement Index schätzt den Verlust durch innere Kündigung auf jährlich 105 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Mangelnde Wertschätzung sorgt langfristig für finanzielle Einbußen. Deshalb nachfolgend eine kleine Begriffskunde (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

A wie Anerkennung – gebraucht und besonders geschätzt, wenn sie vom Vorgesetzten kommt

Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, anerkannt und geliebt zu werden. Medizinprofessor Joachim Bauer von der Universität Freiburg, der seit Jahren den Wunsch nach Anerkennung erforscht, sagt: „Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden.“ (zeit.de). Der US-amerikanische Stahlindustrielle Charles M. Schwab formulierte es einst so: „Durch Anerkennung und Aufmunterung kann man in einem Menschen die besten Kräfte mobilisieren.“ Neun von zehn Arbeitnehmern in Deutschland und Österreich wünschen sich mehr Anerkennung und 95 Prozent würden Maßnahmen für mehr Anerkennung im Unternehmen unterstützen (Quelle: Kraftwerk Anerkennung). Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern kann heißen, dem anderen für seine Unterstützung, sein Engagement oder sein Entgegenkommen Anerkennung zu zollen. Dabei kommt es erheblich auf die Qualität der Anerkennung an, um Wirkung zu erzielen. Nach dem Gießkannenprinzip regelmäßig als Vorgesetzter zu sagen: „Ihr seid ein Spitzenteam!“, wird den Einzelnen nicht dauerhaft motivieren. Je konkreter und individueller die Anerkennung, desto besser kommt sie an. Interessant ist, dass Worte allein hier nicht reichen. Vielmehr wünschen sich Arbeitnehmer laut Kraftwerk Anerkennung, dass ihr Vorgesetzter wirklich hinter einer Initiative für mehr Wertschätzung und Anerkennung steht (67%), häufig gemeinsam mit seinem Team agiert (52%) und Erfolge sichtbar und nachvollziehbar für alle sind (70%). Dabei stellte die Umfrage fest: Je ausgeprägter der wertschätzende Umgang im Unternehmen ist, desto geringer ist das Bedürfnis nach mehr Anerkennung.

W wie Wertschätzung – unabhängig von Leistungen, beruhend auf einer inneren Haltung

Wenn wir andere wertschätzen, bewerten wir sie positiv. Doch diese Bewertung ist nicht abhängig von konkreten Taten, Statussymbolen oder Privilegien – auch wenn diese unser Urteil mitbeeinflussen. Unsere Wertschätzung basiert eher auf einer allgemeinen Haltung anderen gegenüber. Sie ist, so definiert es Wikipedia, „verbunden mit Respekt, Wohlwollen und Anerkennung und drückt sich aus in Zugewandtheit, Interesse, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit.“ Mit anderen Worten: Mitarbeiter erfahren Wertschätzung im Unternehmen durch die gelebte Führungs- und Unternehmenskultur. Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern kann sich in vielen kleinen Gesten, Maßnahmen und Ritualen zeigen. Wertschätzung ist eine Kombination aus Haltung (Neugierde und Interesse am Gegenüber, Wissen um die Einzigartigkeit des anderen, Freude daran, mit einem anderen Menschen auf Augenhöhe in Kontakt zu sein), aus Verhalten und aus einer wertschätzenden, positiven Sprache. Wertschätzung ist ein Gesundheitsfaktor, besonders im Arbeitsleben. Sie erleichtert den Ausstieg aus der Stress-Spirale, steigert das Wohlbefinden und die Motivation. Fehlt hingegen die Anerkennung des Chefs, kann das Mitarbeiter krank machen. Das hat Johannes Siegrist, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, mit seinen Mitarbeitern empirisch gemessen. Die Wissenschaftler legten drei Formen der Gratifikation im Berufsalltag zugrunde: Gehalt, Arbeitsplatzsicherheit und Anerkennung. Unter Anerkennung fassten sie persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, emotionale Wertschätzung und Zukunftsperspektiven zusammen. Siegrist: „Was zählt, ist nicht ein inflationäres Schulterklopfen, sondern echte Wahrnehmung. Wir haben bei Untersuchungen in Betrieben gesehen, dass Vorgesetzte mit 80 Untergebenen gar nicht dazu kommen, denen irgendeine Rückmeldung zu geben – höchstens negativ, wenn es zu einem Fehler kommt. […] Wenn zwischen der Leistung und der Anerkennung ein Ungleichgewicht besteht, wenn erbrachte Leistungen nicht beachtet werden, wenn Menschen unter einem massiven Kündigungsdruck stehen und gleichzeitig hohe Leistungen von ihnen verlangt werden, nennen wir das eine berufliche Gratifikationskrise. […] Solche Krisen gehen unter die Haut. Langfristig führen sie zu körperlichen und seelischen Erkrankungen“ (Laudenbach, 2008). Viele der Führungskräfte, die ich coache, fühlen sich „unterversorgt“, sie bekommen selbst zu wenig Lob.

L wie Lob – wohlwollende Worte für eine konkrete Handlung

Im Schwäbischen gibt es die Redewendung „Nix gschwätzt isch Lob gnuag“, aber das sollte nicht für den Führungsalltag in Deutschlands Firmen gelten. Nur zu denken, „das hat er oder sie aber gut gemacht“, kommt bei Mitarbeitern nicht an. Im Gegenteil. Wo für offenkundig sehr gute Leistung ein positives Feedback fehlt, entsteht das Gefühl der Nichtbeachtung. Und das weist den Weg in die falsche Richtung. Ein geäußertes Lob ist nicht zu verwechseln mit der grundsätzlichen Anerkennung, die man anderen entgegenbringt. Es hat weniger Bedeutung für den Empfänger als die gelebte Kultur der Anerkennung in Form emotionaler Wertschätzung und persönlicher Förderung. Damit ein Lob ankommt und überhaupt positive Wirkung erzielt, sollte es konkret formuliert sein, so dass der oder die Gelobte weiß, wofür er oder sie das Lob bekommt. Loben bedeutet, so bringt es der Duden auf den Punkt, jemanden, sein Tun, Verhalten o.Ä. mit anerkennenden Worten positiv zu beurteilen und damit seiner Zufriedenheit, Freude o.Ä. Ausdruck zu verleihen. Wer ein Lob empfängt, erlebt das auch körperlich. Die Nervenzellen schütten neben Dopamin auch körpereigene Opiate und Oxytocin aus – das entspannt und löst Freude aus. Je stärker das Lob, desto stärker der Cocktail, nach dem das menschliche Gehirn giert. Mediziner Joachim Bauer: „Alles, was wir tun, steht im Dienst des tiefen Wunsches nach guten zwischenmenschlichen Beziehungen.“ (zeit.de). Doch was wir für diese Beziehungen brauchen, hängt sehr von den gemachten Erfahrungen des Einzelnen ab. Während der eine Mitarbeiter einen Kick durch das Lob des Vorgesetzten erlebt, misstraut der andere Mitarbeiter zunächst dem Lob und wartet ab, ob er weiteren Zuspruch bekommt, bevor er das Gesagte als wahr annehmen kann. Hier braucht es von Führungskräften ein gutes Gespür, welche Ansprache ein Mitarbeiter benötigt. Loben allein führt in Sachen Wertschätzung zudem auf den Holzweg: Vor die Wahl zwischen Danke, Lob oder Anerkennung gestellt, präferierten die meisten Arbeitnehmer die Anerkennung (48%). Nur 13% bevorzugten das Lob, während 39% ein Danke reicht (Quelle: Kraftwerk Anerkennung).

Z wie Zuwendung – freundliche Aufmerksamkeit, die wir anderen schenken

Für Zuwendung kennt das Wörterbuch viele Synonyme: Anteilnahme, Entgegenkommen, Zuneigung, Freundlichkeit, Herzlichkeit, Herzensgüte, Wärme, Warmherzigkeit, Liebenswürdigkeit, Wohlwollen oder Güte. Wenn wir uns jemandem zuwenden, beachten wir ihn spürbar. Er oder sie erfährt liebevolle Aufmerksamkeit. Diese Zuwendung steigert bei Mitarbeitern das Zugehörigkeitsgefühl. Es verbessert nicht nur die Motivation für weitere Leistungen, sondern auch das Verhältnis zu demjenigen, der ihnen die Zuwendung entgegenbringt. Und genau dieses Verhältnis gilt es zu pflegen, wenn Sie sich an die eingangs erwähnten Studienergebnisse erinnern. Wer Mitarbeiter dauerhaft zu Bestleistungen motivieren möchte, sollte wertschätzenden Kontakt zu ihnen halten. Zuwendung ist ein Teil davon. Sei es die morgendliche Begrüßung per Handschlag, das aufmerksame Zuhören, wenn jemand mit Ihnen spricht, sei es die freundliche Erkundigung, wie es der Familie geht oder das Schulterklopfen, wenn Sie Aufmunterung oder Anerkennung zeigen wollen – es gibt viele Gesten und Möglichkeiten der Zuwendung. Wichtig ist, sie zu nutzen, um Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern spürbar zu machen.

Im Grunde lässt sich das geeignete Vorgehen für Sie als Führungskraft auf ein einfaches Credo reduzieren: Behandeln Sie andere, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Echte Wertschätzung stellt keine Bedingungen. Wertschätzung beginnt mit einem Lächeln auf den Lippen und einem „Danke“ auf der Zunge. Kleine Gesten mit großer Wirkung – und dem Potenzial, eine Kultur zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen und wo man gerne arbeitet.

Weiterführende Lektüre der Autorin:

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Über die Autorin:

Antje HeimsoethAntje Heimsoeth ist eine der bekanntesten Mental Coaches im deutschsprachigen Raum. Die Gründerin und Geschäftsführerin der Heimsoeth Academy, Institut für Business- und Sport-Coaching, trainiert Top-Führungskräfte von internationalen Konzernen und traditionsreichen Mittelständlern. Klienten aus dem Sportbereich, Olympiasieger und Weltmeister, Profi-Teams und Bundestrainer, machen sie zu einer begehrten Keynote-Rednerin. Das Know-how der Expertin zu den Themen mentale und emotionale Stärke, Motivation und Selbstführung beruht auf der Praxis, die durch wissenschaftliche Impulse untermauert wird. Ausgezeichnet als „Vortragsrednerin des Jahres 2014“ und „renommierteste Motivationstrainerin Deutschlands“ (FOCUS) ist Antje Heimsoeth ein gern gesehener Gast bei Fernseh- und Radiosendern. Von der vielfachen Buchautorin neu erschienen: „Frauenpower. Mentale Stärke für Frauen“.

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