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In der modernen, vernetzten Arbeitswelt befinden sich Führungskräfte eigentlich stets in Zielkonflikten, die nicht lösbar sind. Also sollten sie die Kunst beherrschen, mit Zielkonflikten zu leben und diese zu managen.

Führungskräfte müssen beim Führen der ihnen anvertrauten Bereiche meist ein Bündel von sich teils widersprechenden Zielen erreichen. Und weil sich die Rahmenbedingungen oft ändern, müssen sie in der Alltagsarbeit immer wieder die Prioritäten verschieben. Das erzeugt bei ihren Mitarbeitern zuweilen das Gefühl „Unser Chef weiß selbst nicht, was er will“ – zumindest dann, wenn ihnen dessen (scheinbare) Kurswechsel nicht erklärt werden.

Vernetzte Strukturen erhöhen Konfliktpotenzial

Diese Situation hat sich in den zurückliegenden Jahren verschärft. Denn

  • je dynamischer, also von rascher Veränderung geprägter das Umfeld eines Unternehmens ist, umso weniger ist eine langfristige Planung möglich, und
  • je vernetzter die Strukturen in den Unternehmen sowie die Beziehungen zwischen ihnen und ihrem Umfeld sind, umso schwieriger lassen sich bei (Change-)Vorhaben im Vorfeld alle Einflussfaktoren und Wechselwirkungen erfassen, weshalb die Planung und zuweilen sogar die Ziele immer wieder „neu justiert“ werden müssen.

Entsprechend wichtig ist es, dass Führungskräfte die Kunst beherrschen, mit Zielkonflikten zu leben beziehungsweise diese so zu managen, dass sie für ihre Mitarbeiter glaub- und vertrauenswürdig bleiben.

Zielkonflikte gibt es nicht nur in Unternehmen

Von einem Zielkonflikt oder Dilemma spricht man, wenn eine Person oder Organisation zeitgleich mehrere, sich teils widersprechende Ziele erreichen möchte oder muss. Ein typisches Dilemma auf der persönlichen Ebene ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für diesen Zielkonflikt gilt wie für alle Dilemmata: Es lässt sich, zumindest wenn man Beruf mit Karriere gleichsetzt, für die meisten Berufstätigen nur bedingt lösen – egal, wie viel Unterstützung ihnen ihr Arbeitsgeber und der Staat gewähren. Denn wer viel Geld verdienen möchte, muss in der Regel auch viel arbeiten – also bleibt wenig Zeit für Familie und Freunde.

Vor ähnlichen Dilemmata stehen auch Unternehmen immer wieder. Ein typisches Dilemma, vor dem Unternehmensführer oft stehen, ist: Wenn unser Betrieb auch künftig zu den Top-Anbietern im Markt zählen soll, müssen wir investieren – in neue Produkte, Technologien, Vertriebswege. Wenn unser Unternehmen hierfür jedoch viel Geld ausgibt, sinken seine Liquidität und sein Ertrag. Das Unternehmen wird also abhängiger von Kapitalgebern, und dies kann seine Eigenständigkeit gefährden – wenn etwas schief geht.

Dilemmata sind Teil des Führungsalltags

Solch Dilemmata prägen auch den Führungsalltag. Ein klassisches Beispiel ist das Dilemma „Individuum versus Kollektiv“. Vor ihm stehen Führungskräfte beispielsweise, wenn ein Mitarbeiter über eine längere Zeit aufgrund einer privaten Belastung nicht die geforderte Leistung bringt, was unter anderem zu Mehrarbeit für seine Kollegen führt. Dann muss die Führungskraft stets neu entscheiden: Ist die Situation noch tragbar, oder muss ich die berüchtigte „Reißleine“ ziehen, um beispielsweise zu verhindern, dass die anderen Mitarbeiter rebellieren und der Bereich seine Ziele verfehlt.

Weitere klassische Führungs-Dilemmata sind:

  • Wieviel Struktur gebe ich als Führungskraft vor und wieviel Freiraum zur Selbstorganisation gewähre ich den Mitarbeitern?
  • Wieviel Vertrauen in die Kompetenz meiner Mitarbeiter habe ich und wie viel Kontrolle ist nötig?
  • Wie lange halte ich an Vereinbarungen fest und wann werfe ich diese über Bord?
  • Wieviel Nähe suche ich zu meinen Mitarbeitern und wieviel Distanz wahre ich als ihr disziplinarischer Vorgesetzter?

Dilemmata beim Führen

  • unter anderem:
  • kurzfristige versus langfristige Ziele
  • top-down versus bottum-up
  • Mitarbeiter- versus Kapitalgeber-Interessen
  • Kundenorientierung versus Produktivität
  • Kollektiv versus Individuum
  • Vertrauen versus Kontrolle
  • Struktur versus Selbstorganisation
  • Nähe versus Distanz
  • Planung versus Flexibilität
  • Regeln versus Ausnahme
  • Bewahren versus verändern

Dilemmata bzw. Zielkonflikte sind nicht lösbar

Kennzeichnend für Dilemmata ist: Sie sind nicht lösbar. Denn selbstverständlich muss ein Unternehmen Vorsorge betreiben, dass es auch mittel- und langfristig erfolgreich ist – also investieren und sich verändern. Dabei muss es jedoch darauf achten, dass es sein Tagesgeschäft noch erfüllen kann und liquide bleibt.

Ähnlich verhält es sich auf der Führungsebene. Selbstverständlich muss eine Führungskraft in einer Zeit, in der Kernleistungen der meisten Unternehmen in (bereichsübergreifender) Team- und Projektarbeit erbracht werden, verstärkt auf die Kompetenz und die Eigenverantwortung ihrer Mitarbeiter vertrauen. Zugleich bleibt es jedoch ihre Aufgabe, sicherzustellen, dass ihr Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet. Also muss sie bei Bedarf auch steuernd eingreifen.

Für alle Dilemmata gilt: Sie können nicht ein für alle Mal gelöst; sondern nur gemanagt werden. Die Führungskraft muss also stets aufs Neue entscheiden, wo sie die Prioritäten setzt. Dabei darf sie jedoch ihren inneren Kompass nicht verlieren: Von welchen Werten und Maximen lasse ich mich bei meiner (Führungs-)Arbeit leiten? Denn sonst wird sie unberechenbar und unglaubwürdig. Das zerstört die Beziehung zu den Mitarbeitern. Hier stets die richtige Balance zu finden, ist keine leichte Aufgabe.

Zielkonflikte managen und bearbeiten

Beim Managen und Bearbeiten von Dilemmata kann man folgende Schritte unterscheiden.

Schritt 1: Zielkonflikte erkennen.

Bereits dies fällt den Führungskräften in Unternehmen oft schwer. Den Top-Entscheidern häufig, weil sie zu wenig ins Alltagsgeschäft involviert sind und nicht einschätzen können, was Entscheidungen wie „Wir strukturieren um“ für die Organisation und ihre Mitarbeiter bedeuten. Und die Führungskräfte auf der operativen Ebene? Sie nehmen Dilemmata oft nicht wahr, weil sie bei ihrer Arbeit primär ihren Bereich vor Augen haben und ihnen nicht bewusst ist, was zudem nötig ist, damit das Unternehmen (auf Dauer) mit Erfolg agiert.

Schritt 2: Zielkonflikte nicht negieren.

Macher neigen dazu, Dilemmata zu negieren. Sie interpretieren zum Beispiel Hinweise von Kollegen oder Untergebenen wie „Wir haben einen Zielkonflikt …“ oder „Wir bekommen ein Problem, wenn …“ oft als Ausdruck mangelnder Tatkraft. Entsprechend aktionistisch ist oft ihr Handeln, das kurzfristig sogar meist Früchte trägt. Zum Beispiel der Umsatz steigt. Oder ein Projekt schreitet (scheinbar) schneller voran. Doch dann rächt es sich plötzlich bitter, dass die konkurrierenden Ziele längere Zeit vernachlässigt wurden. Zum Beispiel in der Form, dass Kundengruppen wegbrechen. Oder Leistungsträger abwandern. Oder …..

Schritt 3: Zielkonflikte analysieren.

Die meisten Ziele von Unternehmen beeinflussen sich wechselseitig – weshalb die Dilemmata ja entstehen. Entsprechend wichtig ist es, für das Managen von Dilemmata zu analysieren:

  • Welche Ziele haben das Unternehmen und seine Bereiche?
  • Wie hängen diese zusammen?
  • Welchen Einfluss haben sie auf den kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg? Und:
  • Wo sind Zielkonflikte warum vorprogrammiert?

Schritt 4: Zielkonflikte besprechen.

Was sollte ein Mitarbeiter tun, wenn er erkennt: „Ich komme in meinen Job karrieremäßig nicht wie gewünscht voran.“? Dann sollte er das Gespräch mit seinem Vorgesetzten suchen und zu ihm sagen: „Wir haben einen ‚Zielkonflikt‘. Lass‘ uns mal darüber, wie wir…“.

Ähnlich verhält es sich bei allen Zielkonflikten in Unternehmen. Irgendwann muss eine Person die Initiative ergreifen und mit Nachdruck sagen: „Wir haben einen Zielkonflikt, und wir sollten uns auf eine Strategie verständigen, wie wir …“. Sonst wird der Konflikt so lange auf die lange Bank geschoben, bis nur noch ein Krisenmanagement möglich ist.

Schritt 5: Sich auf Regeln für den Umgang mit Zielkonflikten verständigen.

Wichtig ist es auch, Regeln und Prinzipien zu vereinbaren, wie die Führungsmannschaft als Ganze mit Zielkonflikten umgeht – zum Beispiel:

  • Wie sorgen wir dafür, dass wir im Arbeitsalltag nicht die langfristigen Entwicklungsziele aus dem Blick verlieren?
  • Wie gehen wir mit den sich teils widersprechenden Zielen der einzelnen Bereiche um?

Über die bestehenden Zielkonflikte und die Prinzipien, von denen sie sich bei deren Management leiten lassen, sollten die Führungskräfte auch mit ihren Mitarbeitern sprechen, damit sie für diese berechenbar und vertrauenswürdig bleiben.

Schritt 6: Regeln bei Bedarf über Bord werfen.

Unternehmen bewegen sich in einem dynamischen Umfeld – das gilt heute mehr denn je. Das heißt, die Rahmenbedingungen ändern sich permanent. Also müssen die Verantwortlichen auch regelmäßig prüfen: Eignen sich unsere Regeln und Prinzipien noch zum Managen der Dilemmata oder brauchen wir neue?

Auch zwischenzeitlich sollten sie im Dialog stehen. Denn im Betriebsalltag ergeben sich immer wieder Situationen auf, die von den Regeln nicht erfasst werden. Zum Beispiel ein wichtiger Schlüsselkunde bricht weg. Oder ein unvorhergesehenes Ereignis bedroht die Existenz des Unternehmens. Dann müssen kurzfristig alle Vereinbarungen (und Langfristziele) ad acta gelegt werden, weil das übergeordnete Ziel „Existenzsicherung des Unternehmens“ eine andere Prioritätensetzung erfordert.

Über den Autor:

Georg KrausDr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist Autor mehrerer Change- und Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.

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