In der Aus- und Weiterbildung wird laufend über Kompetenzen und Kompetenzentwicklung gesprochen. Wie Trainer den Lernprozess gestalten können, erklärt Gerhard Niedermair, Professor an der Abteilung für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung am Institut für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz im Experteninterview.
Von Kompetenz wird quasi landauf, landab geredet. Was aber kann man sich genau darunter vorstellen? Und wodurch unterscheidet sich eigentlich Wissen von Kompetenz?
Der hochkomplexe und pluralistisch verwendete Begriff „Kompetenz“ ist heute in der Tat allgegenwärtig. Warum? Die Grundlage professionellen Handelns bildet Kompetenz, oder anders formuliert: Erst Kompetenz sichert professionelles Handeln und ermöglicht substanzielle Qualitätsverbesserungen. Kompetenz beruht bekanntlich auf Wissensbeständen, Kenntnissen, Qualifikationen, interaktionalen Akten, Handlungserfahrungen und Reflexionsleistungen. Damit wird bereits deutlich, dass Kompetenz im Sinne von persönlichem Handlungsvermögen bei Weitem mehr ist als Wissen, gleichwohl Kompetenz auf Wissen basiert. Wir unterscheiden in der Wissenschaft sehr unterschiedlichen Typen von Wissen, zum Beispiel Faktenwissen und Prozesswissen. Ich plädiere also, wie Sie bereits merken, nicht nur für einen substanziellen Wissensaufbau, sondern für eine weitsichtige Kompetenzentwicklung bei Menschen. Mit einem derartigen Leistungsvermögen können neue, schwierige und komplexe Problemstellungen in verschiedenen Handlungsfeldern angemessen bearbeitet werden. Mit dem aus der wissenschaftlichen Literatur bekannten Begriff der beruflichen Handlungskompetenz soll im Übrigen besonders das Handlungsvermögen von Menschen zur erfolgreichen Bewältigung beruflich-betrieblicher Herausforderungen und Probleme zum Ausdruck gebracht werden. Die gute Nachricht jedenfalls ist, dass wir in der Wissenschaft davon ausgehen, dass Kompetenzen erlernbar respektive erwerbbar sind.
Positive Aussichten sind immer gut – aber gibt es auch unterschiedliche Arten von Kompetenzen, die man erwerben kann?
In der Fachliteratur finden sich häufig folgende populären Grundkompetenzen: Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Methodenkompetenz und Selbstkompetenz. Darüber hinaus werden weitere Facetten von Kompetenz unterschieden, etwa Medienkompetenz, interkulturelle Kompetenz, Technikkompetenz, Lernkompetenz, didaktische Kompetenz, Innovationskompetenz, Gestaltungskompetenz, Weiterbildungskompetenz, und Führungskompetenz.
Nach dem Motto: Jedem seine eigene Kompetenz! Wie gelingt es nun in der Praxis, diese verschiedenen Kompetenzen zu erlernen und in der Folge auch anzuwenden?
Für diesen Prozess des Lernens und Anwendens gibt es in der Fachsprache einen eigenen Begriff: nachhaltige Kompetenzentwicklung. Diese zeigt sich in der produktiven und exzellenten Anwendung von neu Gelerntem, also in konkreten Handlungsausführungen und beobachtbaren Leistungen. Ein Seminar- oder Kursbesuch war meines Erachtens erst dann wirklich erfolgreich, wenn die Teilnehmer das neu erworbene Wissen und Können, also seine Problembewältigungsfähigkeit, folglich auch tatsächlich nutzt und in der Praxis, etwa am Arbeitsplatz, in der Familie oder in einem Freizeitverein gelingend anwendet. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Transfer“.
Das klingt sehr einleuchtend – aber gibt es auch bestimmte Maßnahmen, wie diese Übertragung von neu Gelernten in die Praxis gefördert werden kann?
Ich plädiere in diesem Punkt für die Realisierung eines professionellen Transfermanagements, d.h. die Anwendung eines intelligenten Systems von Aktivitäten, um den Praxistransfer, also die Übertragung von Gelerntem in die Praxis zu unterstützen und zu sichern. Quasi zufällig, gar willkürlich, hin und wieder und da und dort eine transfersichernde Aktivität zu realisieren, ist schlichtweg zu wenig. Es braucht de facto – und dies ist die Kunst – ein geplantes, ja ausgeklügeltes System von Transfersicherungsaktivitäten, das wie eine Art Brennglas auf den Praxistransfer funktioniert. In diesem Modell lassen sich verschiedene Phasen und Transferbeteiligte unterscheiden.
Beginnen wir mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Wie können sich diese optimal auf eine Weiterbildungsveranstaltung vorbereiten?
Die Entscheidung für die Teilnahme an einer Weiterbildungsveranstaltung sollten die Teilnehmer im Besonderen auf Grund einer persönlichen Standortbestimmung im Sinne einer ehrlichen Bildungsbedarfsanalyse treffen. Im Rahmen einer derartigen Analyse könnten sich die potenziellen Teilnehmer unterschiedliche Fragen beantworten, zum Beispiel: Über welches Vorwissen und welche Vorkenntnisse verfüge ich? Welche Ziele strebe ich mit dem Seminarbesuch an? Welche Nutzenerwartungen habe ich an den Kurs oder Lehrgang? Welche Kompetenzen will ich mir aneignen, um diese an meinem Arbeitsplatz oder in anderen Praxiskontexten effektiv und effizient anzuwenden? Welche Veränderungen, Verbesserungen, Entwicklungen, Lösungen usw. sollen durch den Besuch dieser Veranstaltung eintreten? Welchen praxisorientierten Nutzwert will ich aus den angebotenen Inhalten ziehen? Welche Vorstellungen habe ich hinsichtlich der Qualität des Lernprozesses? Was muss ich konkret tun, damit das Seminar für mich erfolgreich verläuft? Woran werde ich erkennen, ob und wie der von mir angepeilte Wissens- und Kompetenzzuwachs eingetreten ist?
Eine Menge Fragen, die sinnvollerweise zu stellen sind. Und worauf sollen die Trainerinnen und Trainer in dieser Erstphase achten?
So können die Trainer den Teilnehmern bereits im Vorfeld der Bildungsmaßnahme anschauliche Vorbereitungsmaterialien, zum Beispiel themenspezifische Artikel, taugliche Einstiegsunterlagen und wertvolle Literaturhinweise bereitstellen und/oder mittels eines kurzen Fragebogens, der an die Teilnehmer via Mail versandt wird, individuelle Entwicklungsbedarfe und persönliche Voraussetzungen, wie beispielsweise Arbeitsbereich, betriebliche Problemstellungen, Lernbedürfnisse und berufliche Erfahrungen abfragen.
Sie haben auch die Führungskräfte erwähnt. Welche Aufgaben zur Transfersicherung kommen diesen in der Vorbereitungsphase zu?
Es ist vermutlich wenig überraschend, wenn ich betone, dass Führungskräfte sehr mächtige Akteure in der Transfersicherung sind. Sie können wahrlich Transfer maßgeblich behindern oder fördern. Ohne die Mitwirkung der unmittelbaren Führungskräfte ist so manche Seminarteilnahme in der Tat vergebliche Liebesmüh. Für besonders bedeutsam erachte ich, und dies könnte sich tatsächlich jede Führungskraft ins Stammbuch schreiben, dass sie mit dem Mitarbeiter, der das Seminar besucht, eine Art „Seminarentsendungsgespräch“ führt. Im Rahmen eines derartigen Gespräches sollte der Mitarbeiter nicht nur für das Seminar motiviert werden, indem beispielsweise auf die Bedeutung der Seminarteilnahme durch den Mitarbeiter dezidiert hingewiesen wird, sondern es kann der Mitarbeiter beispielsweise auch den Auftrag erhalten, nach Absolvierung des Seminars für die Kollegen und Kolleginnen eine kurze Präsentation über die zentralsten Inhalte und wichtigsten Erkenntnisse vorzubereiten und durchzuführen.
Bleibt noch die Seite der Trainer und Trainerinnen. Wie können diese während des Seminars transferbegünstigend wirken?
Für Trainer bietet sich hierzu – auch im Sinne des viel-beschworenen situierten Lernens – eine Fülle von Möglichkeiten. Gemäß der bekannten Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan wollen sich Menschen als autonom, selbstbestimmt, sozial integriert und kompetent handelnde Wesen erleben. Für eine nachhaltige Transfersicherung ist es daher eminent wichtig, dass die Teilnehmer in den Seminaren von den Trainern die Möglichkeit erhalten, eine aktive, selbstorganisierte und gestalterische Rolle einzunehmen, also auch an inhaltlichen und methodisch-didaktischen Entscheidungen mitwirken können. Von großer Bedeutung ist, dass die Trainer praxisnahe und arbeitsrelevante Inhalte auswählen. Mit anderen Worten: Die Trainer sollen mit den Lernenden nicht fiktiv-künstliche, sondern reale, ja echte Aufgabenstellungen aus der alltäglichen Berufspraxis bearbeiten. Denn erst derartig authentische und damit in der Regel auch faszinierende Aufgaben werden bekanntermaßen von den Teilnehmern als sinnvoll, Nutzen stiftend, praxistauglich und motivierend erachtet. Und: Erst derartige Aufgaben erzeugen bei den Teilnehmern echte Identifikation.
Das ist mittlerweile schon eine ganze Menge an wesentlichen Inputs. Was erscheint Ihnen darüber hinaus noch beachtenswert?
In der einschlägigen Wissenschaftsliteratur wird mit Blick auf die Gestaltung konstruktivistisch ausgerichteter Trainings auch empfohlen, die Teilnehmer zu motivieren, Probleme aus multiplen Perspektiven, also von unterschiedlichen Standpunkten aus zu betrachten. Wichtig ist auch, dass die Trainer ein konstruktives, d.h. im Besonderen angstfreies Lernklima herstellen, also eine Lern- und Arbeitswelt erzeugen, in der sich die Teilnehmer wohlfühlen. Auch das Arrangieren regelmäßiger Feedback- und Reflexionsschleifen, denken wir dabei zum Beispiel an Blitzlicht-Runden, Stimmungsbarometerabfragen und Feedback-Round-Table, wirkt bekanntermaßen transferförderlich. Schließlich halte ich auch die Motivierung der Lernenden zur kontinuierlichen Führung eines Lerntagebuches und Ideenkatalogs sowie die gezielte Einbindung von Führungskräften und Schlüsselpersonen in Bildungsveranstaltungen, beispielsweise in Form abendlicher Gastreferate oder Kamingespräche, für ein Gebot der Stunde.
Im Rahmen des WIFI Trainerkongresses 2013 ist Univ.-Prof. Dr. Gerhard Niedermair der Keynote-Speaker zum Thema Kompetenzentwicklung. In seiner Einleitungs-Keynote zeigt er auf, wie die neuen Wege der Kompetenzentwicklung beschritten werden können. Er spannt dabei einen Bogen über verschiedene Kompetenzmodelle und beendet den Kongress mit einer interaktiven Abschluss-Keynote und einer Einladung an sein Publikum sich noch einmal intensiv mit den personalen, interpersonalen und strukturalen Komponenten einer optimalen Transfersicherung auseinanderzusetzen.
Nähere Informationen: www.wifiwien.at/trainerkongress