Die erste Führungsposition stellt für viele junge Chefs eine besondere Herausforderung dar. Silke Mimlich ist mit ihrem Team von runddenker genau auf die Begleitung solcher Führungspremieren spezialisiert. Sie verrät im Gespräch mit Weiterbildungsmarkt.at die größten Nöte und die stärksten Wünsche von jungen Führungskräften.
Weiterbildungsmarkt.at: Mit dem ersten Führungsjob geht für viele ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Was ist die Kehrseite der Medaille?
Silke Mimlich: Ja, das stimmt. Bei den meisten, die zum ersten Mal Chef werden, ist die Freude groß. „Endlich hat man es geschafft! Mehr Mitsprache, bessere Bezahlung, höheres Ansehen – und vor allem: Jetzt kann man selber sagen, wo’s lang geht!“ geht vielen durch den Kopf. Doch im Job eines Chefs scheint nicht immer die Sonne – wie in anderen ja auch nicht. Auch wenn man jetzt als Teil des Managements mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat: das „Chef-sein“ hat auch seine Schattenseiten. Mehr Verantwortung, Ergebnisdruck, Konflikte, Widerstände, Allianzen usw. können einem das Leben als Führungskraft wirklich schwer machen.
Weiterbildungsmarkt.at: Welche Probleme tauchen in der Praxis am Häufigsten auf?
Silke Mimlich: In unserer Arbeit mit jungen Führungskräften beobachten wir immer wieder zwei Phänomene. Ich nenne sie immer „Die 2 Üs“. Das eine ist die „Überforderung“. Viele junge Chefs kommen in der neuen Rolle schnell an ihre Grenzen. Und das ist ja auch nicht verwunderlich. Es gibt ja im Grunde keine Vorerfahrung, auf die man zurückgreifen kann. Es macht auch einen Unterschied, ob man ein neues Aufgabengebiet – z.B. eine weitere Produktsparte als Verkäufer – oder eine neue Rolle übernimmt. Die persönlichen Anforderungen sind in den meisten Fällen anspruchsvoller als gedacht. Neu ernannte Führungskräfte müssen nicht nur von alten Aufgaben und Gewohnheiten loslassen, sondern auch andere für sich gewinnen, neue Impulse setzen und sehr bald erste Ergebnisse abliefern.
Das zweite „Ü“ ist die „Überschätzung“. Viele Jungchefs gehen mit einem extrem übersteigerten Selbstbewusstsein an die Sache heran. „Ich bin der geborene Leader“, „Das hab ich alles schon mit der Muttermilch aufgesogen“ oder „Es gibt nichts, was ich nicht schaffe“. Das Problem dabei: So eine starke Ich-Bezogenheit führt häufig dazu, dass man sich selbst mehr in den Mittelpunkt rückt als die anderen bzw. die Sache – also die Mitarbeiter, die Kollegen, die Vorgesetzten, die Organisation, den Geschäftsauftrag usw. Der Blick ist verklärt und man ist weniger empfänglich für Feedback oder Korrektive. Man ist dann meist unbewusst mehr damit beschäftigt, seinen eigenen alten Verhaltungsmustern zu folgen, als sich der eigentlichen Aufgabe – nämlich dem Führen – zu widmen.
Man könnte hier auch noch die Überarbeitung als drittes „Ü“ extra erwähnen. Wir kennen das alle: die beste Fachkraft wird zum Chef gemacht. Da kriegt man die Führungsaufgaben einfach oben drauf gepackt. Dass das nicht funktioniert, liegt auch schon lange auf der Hand.
Weiterbildungsmarkt.at: Welche Rolle spielt bei der Führungspremiere das Verständnis von Führung?
Silke Mimlich: Eine ganz entscheidende. Denn Führung ist in erster Linie ein verhaltensbezogener Job, bei dem im Grunde ganz andere – und für viele auch ganz neue – Verhaltensweisen gefragt sind. Nicht selten ist die eine oder andere Nachwuchsführungskraft gefordert, auch ihre Einstellung und Haltung zu überdenken. Führung ist nicht mehr das, was es einmal war. Es hat weniger etwas mit „Ich erledige selbst“ als mehr mit „Ich sorge dafür, dass …“ zu tun. Führung bedeutet heute einen Rahmen zu schaffen. Eine Führungskraft hat die Aufgabe, seine Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, das Richtige zu tun. Ohne ständige direkte Anweisung und Kontrolle. Der autoritäre Führungsstil hat ohnehin ausgedient, wenn es darum geht, ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeiter exzellente Leistung erbringen können und wollen. Die große Kunst liegt paradoxerweise vielleicht darin, genau dadurch wirkungsvoll zu sein, indem man sich selbst in gewissen Bereichen zurücknimmt.
Weiterbildungsmarkt.at: Welche Rahmenbedingungen sollten Unternehmen schaffen?
Silke Mimlich: Im Grunde, alles was dazu beiträgt, dass die neu ernannte Führungskraft arbeitsfähig sein kann – also dass sie ihren Aufgaben nachkommen und ihren Arbeitsauftrag erfüllen kann. Das erreicht man in jedem Fall durch Unterstützung, Fürsorge, Integration, Vertrauen, Entlastung und Klarheit. Keinesfalls sollten Ängste angefeuert werden. Denn wer mit der eigenen – zum Teil unbewussten – Angstabwehr beschäftigt ist, hat keinen Kopf für Arbeit. Das gilt übrigens für Führung generell: „Angst nehmen, statt Angst machen!“ ist hier die Devise.
Das beginnt schon bei den Erwartungshaltungen, die an die jungen Führungskräfte gestellt werden. Niemand ist perfekt – und wir sollten das von niemandem erwarten. Dennoch ist „Ins kalte Wasser werfen“ die gängige Praxis. Das lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch nicht vermeiden. Irgendwann ist immer das erste Mal. Wir können den jungen Menschen die Erfahrung ohnehin nicht abnehmen, und Fehler müssen sie wohl oder übel auch selbst machen. Aber wir können da sein und eine helfende Hand reichen, wenn sie gebraucht wird bzw. gefragt ist. Häufig wird in Unternehmen immer noch etwas Wichtiges vergessen: „Und ich schaue darauf, dass du nicht ersäufst“. „Fordern und fördern“ gilt auch hier! Und die Art und Weise, wie man das bewerkstelligt, kann vielfältig sein: vom Schwimmlehrer über Schwimmflügel bis hin zum Trockentraining ist alles denkbar – aber vor allem hilfreich.
Weiterbildungsmarkt.at: Wie können Trainings helfen?
Silke Mimlich: Sehr. Allerdings sollten es die richtigen Trainings sein. Damit meine ich, dass die Inhalte auf die die besondere Situation „Zum ersten Mal Chef“ auch zugeschnitten sein sollten. Die gängigen Führungslehrgänge und verschiedenen Programme in der Führungskräfteentwicklung, die auch zahlreich angeboten werden, sind wunderbar. Allerdings denke ich, dass hier viel Energie mit Basis-Themen gebunden wird. Zum Beispiel Grundlagen der Kommunikation oder der Umgang mit Konflikten. Das sollte eigentlich jeder Mitarbeiter schon hinter sich haben – egal ob in Führungsfunktion oder nicht. Das müsste schon in der Schule gelernt werden. Oder kennen Sie einen Lebensbereich, wo man es nicht mit Menschen und Beziehungen zu tun hat?
Dass Unternehmen in einigen Basis-Bereichen noch viel Entwicklungsarbeit leisten müssen, sehe ich schon ein. Allerdings geht es beim Start als Führungskraft weniger darum zu wissen, wie etwas zu tun ist, sondern was zu tun ist. Angehende Chefs brauchen ein Ohr dafür, wo der Schuh drückt und ein Auge dafür, wo es hakt. Sie müssen quasi „zwischen den Zeilen lesen“ können, um rasch gute Entscheidungen treffen zu können – auch in Bezug auf den eigenen Rollenwechsel. Diese Kompetenzen sollten auch in den Führungskompetenztrainings vermittelt werden.
Weiterbildungsmarkt.at: Welche weiteren Maßnahmen sind hilfreich?
Silke Mimlich: Viele junge Führungskräfte, die wir individuell und „on-the-job“ begleiten, schätzen besonders den Austausch mit jemandem, der weiß wovon man spricht. Und der sie darauf hinweist, worauf man achten sollte – also wo typische Fallen lauern und wo man „punkten“ kann. Das Tolle dabei ist, dass sie dadurch zwar viele neue Impulse erfahren, aber auch eine extreme Entlastung verspüren. Und außerdem geht zu zweit vieles schneller.
Wichtig ist, dass die Dinge konkret auf den Tisch kommen und unterschieden werden können: in das, was wirkt und das, was nicht wirkt. Ersteres gilt es zu verstärken, letzteres ganz einfach bleiben zu lassen. Und ob diese Arbeit jetzt im Rahmen eines Reflexionsgespräches, eines Coachings, einer Strukturaufstellung, einer Peergroup, eines Mentorings usw. passiert: Es lassen sich in jedem Fall einige leere Kilometer – und vielleicht auch ein paar schmerzvolle Momente – sparen.
Weiterbildungsmarkt.at: Man merkt deutlich, dass Ihnen dieses Thema eine Herzensangelegenheit ist. Was ist denn ihr ganz persönlicher Tipp für junge Chefs?
Silke Mimlich: Da habe ich vielleicht weniger einen Tipp als vielmehr Zuspruch, den ich geben kann – nämlich: Sie sind nicht allein! Selbst wenn es für Sie auf den ersten Blick so scheint – und sich vielleicht auch so anfühlt. Und Sie müssen die Herausforderung auch nicht alleine meistern! Sehen Sie sich um, und sie werden andere finden, die Ihnen hier eine echte Unterstützung sein können: Kollegen, Ihr Chef, die Personalentwicklung, Freunde, andere neue Führungskräfte, Experten, Vertrauenspersonen usw. Klären Sie Ihre internen Möglichkeiten – und wenn hier Unterstützung nur bedingt möglich ist: Sorgen Sie für sich selbst! Das sollten Sie ohnehin machen – es geht ja schließlich um Sie.
Weiterbildungsmarkt.at: Vielen Dank für das Gespräch!
Über die Interviewpartnerin:
Silke Mimlich ist Impulsgeberin von „Junge Chefs | by runddenker“. Ihr Engagement gilt im Besonderen der Beratung und Begleitung jener, die zum ersten Mal Führungskraft werden.
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