Warten hat ein verdammt schlechtes Image. Warten ist definitiv unsexy, ja scheinbar wertlos. Warten bringt nichts, sondern kostet nur – Zeit, Geld, Nerven. Jedenfalls in einer eiligen Multioptionsgesellschaft. Selbige kann und will nicht warten, zumal es am Buffet der zig Möglichkeiten so üppig viel zu erleben und erledigen gibt. Aber so einfach oder einseitig ist die Sache dann doch nicht.
Warten müssen ist einerseits eine subversive Antwort der Zeit auf unseren Hektik-Modus. Sie lässt uns immer öfter im Stau stehen oder im „rasenden Stillstand“ (P. Virilio) verharren. Andererseits kann das Warten aber mitunter auch eine besondere Zeitqualität offenbaren. Oder um mit dem Philosophen Stefan Gosepath zu sprechen: „Wenn wir das Warten verlernen würden, wäre das ein kultureller Verlust.“ Umso lohnender ist es, das Warten etwas differenzierter zu betrachten und so ihm vielleicht sogar unerwartet positive Seiten abzugewinnen.
Nur keine Zeit verlieren
„Bitte warten! Was lösen diese zwei Worte spontan bzw. üblicherweise in Ihnen aus? Eher Unruhe, Unlust, Ungeduld? Ja Ärger, mitunter Aggression? Oder ein neutrales bis abwartendes „Ähm“? Vielleicht Gleichgültigkeit? Oder doch positive Anspannung, gar entspannte Gelassenheit? Die Fraktion der Gelassenen dürfte wohl äußerst überschaubar sein. Ein Minderheitenprogramm, knapp an der Wahrnehmungsgrenze. Hingegen scheinen etwa nervöse Drängler vor Supermarktkassen, die schon eine Mini-Warteschlange als Zumutung empfinden, inflationär zuzunehmen.
Kein Wunder, wird uns doch allerorten das pure, pausenlose Gegenteil von Geduld suggeriert: Nur keine Zeit verlieren! Alles noch früher, schneller, mobiler. Wer rennt, fleucht und keucht, ist ein Winner. Wer hingegen schleicht oder verlangsamt, ist ein ärgerliches Hindernis, das sich schleunigst schleichen soll. Und alles, das dauert, ist schlicht übel. Ein unerträglicher Zeitverlust, den es umgehend auszutricksen gilt. Da kommen diverse Beschleunigungsprothesen gerade recht.
Einfach. Schnell. Kontaktlos.
So tragen brandaktuelle Hinweisschilder bei Supermarktkassen dem sprichwörtlich drängenden Bedürfnis zeitgeistig Rechnung: „Einfach, schnell und kontaktlos bezahlen!“ Kaufe so viel und zahle so schnell du kannst – und schleich dich. Schnell. Kontaktlos. Bargeldlos. Jedenfalls das Geld los. Sogar Arzt-Besuche scheinen immer mehr nach demselben Muster zu funktionieren: Einfach. Schnell. Kontaktlos. Und wer gar nicht warten mag, der konsultiert auf die Schnelle virtuelle E-Doktoren im Internet. Ferndiagnose – ruck, Spontanheilung – zuck. Wie hieß noch die sinnfällige Botschaft einer Apotheken-Werbetafel, Turbo-Abhilfe versprechend: „Wer hat schon Zeit für Schmerzen?“
Einfach. Schnell. Kontaktlos. Das mag tatsächlich ab und an reizvoll oder sogar sinnvoll sein. Zeitweise, bei bestimmten Gelegenheiten. Aber als generelles Mantra ist es eher fragwürdig, ja unsinnig. Auch, weil es irrtümlich suggeriert, wir könnten so Zeit tatsächlich „gewinnen“. Ein naiver Trugschluss. Vielmehr sind wir die flüchtige Zeit umso eher los, wenn wir glauben, sie unentwegt noch mehr ökonomisieren und takten zu müssen. Sie rächt sich mit dem chronischen Gefühl von Zeitnotstand, als würde sie uns umso eiliger davonlaufen. Einfach so, einfach schnell. Einfach kontaktlos. Ruck-zuck.
Alles to go
Und wer keine Zeit beim Einkauf oder Arztbesuch hat, der möchte auch bei der Nahrungsaufnahme nicht warten. Deshalb kriegt fast alles, das ess- und trinkbar ist, symbolisch Beine umgeschnallt, damit es mit den eiligen Konsumenten mitlaufen kann. „TO GO“ lautet die Super-Formel. Hier einige Kostproben aus der schier unerschöpflichen „TO GO“-Wortschöpfungsvitrine; 1:1 übernommene Stil- und Orthografieblüten in allen (un-)erdenklichen Varianten.
„Coffee to go – 10% für ihre Weiterfahrt!!!“ „Apfel to go – 1,00 €/Stk.“, „COFFEE GIBT`S AUCH TO-GO“, „TEA TO GO“, „Cool energy to go“, „FOOD-TO-GO ab 3 €“, „BUFFET TO GO“, „GYROS & MORE TO GO“, „WEINE TO GO…immer für Sie gekühlt!“, „Nudel / Reis Box To GO“, „Water To Go. Und besonders kreativ bis wohl ungewollt komisch – Kaffee, den man nicht nur trinken, sondern auch lesen kann: „Coffee to Read“ [sic.] So eine Aufschrift in einer Wiener Buchhandlung. Eine Einladung zur fidelen Kaffeesudleserei? Da läge es doch nahe, etwa hinzuzufügen: „TIME TO GO“. Wie viel Zeit wohl mitgenommen würde? Falls sie nicht bereits zuvor davongelaufen ist. Denn Zeit wartet prinzipiell nicht.
Dagegen wirkt ein Angebot eines Wiener Cafés beinahe anachronistisch: „Frühstück bis 16:00 h“ Jedenfalls eine charmante Antithese zum seuchenartigen „TO GO“-Fieber. Eine Einladung zum Verweilen und Genießen für „Spätstücker“.
Die dunkle und helle Seite des Wartens
Warten ist an sich eine widersprüchliche Angelegenheit. Nicht nur, dass es naturgemäß unterschiedlich (kurz oder lang) empfunden wird oder gemeint sein kann. In vertrauten Floskeln wie „Geh, warte einmal schnell!“ oder „Warte bitte, nur eine Sekunde!“ mag das deutlich werden. Wissend, dass wohl die eine schnelle Sekunde niemals reichen wird und zur „Gummisekunde“ mutiert.
Warten hat zugleich auch dunkle und helle, verdrießliche und erbauliche Seiten. Anzunehmen, dass sie uns allen mehr oder weniger vertraut sind.
Das Dunkle, mitunter Belastende wird deutlich, wenn wir etwa auf etwas hin warten müssen, dessen Dauer, Ausgang oder Konsequenz unsicher ist. Beispielsweise früher in der Schule oder später beim Studium, wenn wir auf Ergebnisse wichtiger Prüfungen warteten. Oder Konflikte, schwierige Aufgaben, die nicht und nicht enden wollen. Oder wenn wir krank sind und auf Heilung oder ein ärztliches Attest warten.
Die helle, erbauliche Seite zeigt sich meist eher schüchtern, zögernd. Denn Warten klingt zunächst eher passiv. Ist es auch – jedenfalls vordergründig. Aber siamesisch gepaart mit Geduld kann es ein äußerst aktiver (innerer) Prozess sein, der am Ende belohnt wird. Etwa mit einem unbändigen Erfolgs- oder Zufriedenheitsgefühl. Ja mitunter sogar mit Euphorie und purem Glücksgefühl. Oder wie es die Schauspielerin Anna Magnani trefflich formulierte: „Das Schönste im Leben ist nicht die Erfüllung, sondern die Erwartung der Erfüllung.“
Hinweis: Der Artikel ist ein gekürzter, abgeänderter Auszug aus dem Anfang 2017 erschienenen Buch „Tempo all´arrabbiata“.
Über den Autor:
Mag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching. Training. Consulting.“ in Mödling b. Wien. Als Temposoph, Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-spezifische Themen und Widersprüche spezialisiert. Und das auf gesellschaftlicher, unternehmerischer wie persönlicher Ebene.
Aktuelle Publikation: (1) Tempo all´arrabbiata (2) Ach du liebe Zeit (3) Zeit – Macht – Ohnmacht
Weitere Informationen über Franz J. Schweifer