Erfolgreiche Verhaltensmuster, die wir in frühen Kindertagen als Überlebensprinzip gelernt haben, können unter Stress, Druck oder in Umbruchphasen dazu führen, dass sich Menschen oder Unternehmen selbst im Wege stehen. Vorhandene Kompetenzen oder Verhaltensvariationen werden nicht erkannt und stehen daher zur Bewältigung schwieriger Situationen nur eingeschränkt zur Verfügung. Die Transaktionsanalyse hat Modelle, die die dahinterliegenden Mechanismen und Ursachen erklärt und zeigt mögliche Handlungsalternativen auf.
Ein Beratungsbeispiel
„Ich bin gestolpert, und zwar über mich selbst. Immer öfter gibt es Situationen in denen ich über demotivierende Gedanken stolpere. Gedanken über mich, die Situation oder meine Fähigkeiten. Diese Gedanken führen dann dazu, dass ich mir selbst im Wege stehe. Was kann ich tun? Ich verstehe das nicht.“ Mit diesen Worten begann eine Kundin ein Coachinggespräch.
Als Coach interessierten mich zunächst Details: „Wie kann ich mir das vorstellen? Was passiert denn da genau?“ „Wie Sie wissen“, erzählte die Kundin weiter, „habe ich mich vor einigen Monaten selbständig gemacht. Damit verbunden ist es notwendig, einen Kundenkreis aufzubauen, eine Webseite zu gestalten und zu akquirieren. Ich habe das alles gut durchdacht und auch gut vorbereitet. Und jetzt blockiere ich mich selbst. Ich stelle mir nochmals Grundsatzfragen, die ich für mich bereits positiv beantwortet habe und dabei fühle ich mich schlecht. Und bei Akquisitionsgesprächen fange ich an herumzustottern, wirke richtig unsicher. Dabei bin ich das doch gar nicht.“ „Was haben Sie dann für Gedanken?“ möchte ich es genauer wissen. Spontan antwortet die Kundin: „Bin ich gut genug? Ist das auch wirklich ein guter Weg? Wer braucht denn das? Kannst Du das auch wirklich?“ schließt sie ab und sinkt noch etwas tiefer in den Stuhl.
Transaktionsanalytiker kennen dieses Phänomen. Sie beschreiben die dazugehörige Ursache mit einem Modell, welches sie „Skript“ nennen. Es kann sich bemerkbar machen, wenn Menschen im Stress sind, Druck verspüren oder sich in Umbruchphasen befinden. Hinter Gedanken, wie in diesem Beispiel, können Sätze aus dem Unterbewusstsein stehen, wie: „Spiel Dich nicht in den Vordergrund. Nimm Dich selbst nicht so wichtig. Ruhig abwarten, dann erledigt sich das von selbst. …“
Diese Gedanken und damit verbundene Gefühle und Verhaltensmuster, stehen in unserem persönlichen Skript. Manche nennen es „das selbst geschriebene Lebensdrehbuch“. Wir „schreiben“ unser Skript in frühen Kindertagen. Dort steht alles drin, wie wir als Kind die Welt erlebt haben und wie wir gedacht haben „so funktioniert das Leben und mein Überleben“. Wir Menschen greifen auf diese bewährten Überlebensstrategien automatisch zurück. Manchmal helfen sie noch heute und manchmal – insbesondere in schwierigen oder neuen Situationen – helfen sie nicht mehr. Ganz im Gegenteil, sie behindern uns.
Erklärungsansätze mit Transaktionsanalyse finden
Das Modell des Lebensskript stammt aus dem Bereich der Transaktionsanalyse. Transaktionsanalyse (im Folgenden kurz: TA) gehört zum Feld der humanistischen Psychologie und umfasst ein ganzes Netz an Modellen, Grundannahmen und Arbeitsauffassungen, welches die menschliche Persönlichkeit, die Kommunikation und die Gestaltung der Beziehung zwischen Menschen beschreibt und erklärt. Mit TA wird nicht nur in der Psychotherapie gearbeitet. Es findet auch Anwendung in Pädagogik, Beratung, Coaching und Organisationsentwicklung. In Unternehmen wird erfolgreich damit gearbeitet, wenn es um Themen wie Führung, Zusammenarbeit oder Personal- und Organisationsentwicklung geht.
Im vorliegenden Beispiel eines Coaching, ging es mir als Coach im nächsten Schritt darum, zu erkennen, welche konkrete Überlebensstrategie hinter diesem wiederkehrenden, skriptgebundenem Verhaltensmuster stehen könnte. Nach weiterer Reflexion kam die Kundin zu folgender Beschreibung: „Wenn ich der Meinung bin, dass ich etwas nicht gut genug gemacht habe, sage ich mir: `Leg Dich etwas mehr ins Zeug, dann wird alles wieder passen.` Dann arbeite ich noch mehr und komme noch mehr durcheinander, fühle Ärger, Verwirrung und schließlich Verzweiflung aufkommen. Anschließend meldet sich wieder eine Stimme die sagt: `Streng Dich eben mehr an.` Und die Geschichte geht von vorne los.“
Wiederkehrende Verhaltensmuster bei Menschen
Taibi Kahler hat Verhaltensabläufe beobachtet, welche als Ausdruck von skriptgebundenem Verhalten oder Gefühle innerhalb kurzer, manchmal sekundenschneller Zeiträume stattfanden. Er hat fünf grundlegende Verhaltenssequenzen festgestellt und diese „Antreiber“ genannt.
Diese Antreiber waren in frühen Kindertagen konkrete Gebote der Eltern, um dem Kind zu vermitteln, wie es aus ihrer Sicht sein und sich verhalten soll, um ihnen oder anderen Menschen zu gefallen, und um im späteren Leben gut zurechtzukommen. Kinder formulieren diese Aufforderungen der Eltern zu einer Bedingung um, an die ihr Wertgefühl geknüpft ist. Noch als Erwachsene befolgen wir unbewusst viele dieser elterlichen, als überlebensnotwendig abgespeicherten Botschaften.
Nach Kahler hat jeder Mensch einen oder mehrere dieser Antreiber in unterschiedlich ausgeprägter Form. Sie führen dazu, dass Menschen unter ihrem Einfluss keine oder wenige Wahlmöglichkeiten zur Bewältigung bestimmter Situationen finden. Dies beruht auf inneren Prozessen, die die Sicht auf unsere Verhaltensmöglichkeiten einschränken. So wie zuvor im Coachinggespräch beschrieben.
Engpasswirkung erzielen die Antreiber durch ihre Ausschließlichkeit und Unveränderlichkeit: „Du bist nur ein wertvoller, geliebter Mensch, wenn …
- … Du immer perfekt bist!“
- … Du Dich immer beeilst!“
- … Du Dich immer anstrengst!“
- … Du es immer allen Recht machst!“
- … Du immer stark bist! „
Dies sind die 5 Antreiber-Verhaltenskategorien.
Wiederkehrende Verhaltensmuster in Organisationen
Das was bei jedem einzelnen Menschen „funktioniert“, kann man auch in Unternehmen beobachten. Menschen bringen Antreiberverhalten in die Organisation mit und Organisationen stützen dies durch eine Unternehmenskultur, welche ebenfalls durch Antreiber-Botschaften geprägt wird. Erkennbar ist dies zum Beispiel an Sätzen wie: „Wir stehen für 100%ige Qualität, Fehler werden nicht geduldet.“ oder „Ich erwarte mir von meinen Mitarbeitern vollen Einsatz. Strengen Sie sich etwas mehr an.“
Menschen agieren in Unternehmen in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Personen unter dem Einfluss von Antreibern. Daraus entstehen kontextspezifische Antreiberdynamiken. Dieses Zusammenspiel kann für die Entwicklung der Unternehmen hinderlich sein, da es auch hier zu einer Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten kommt. Die Flexibilität, um auf verschiedene Schwierigkeiten spezifisch einzugehen, wird eingeschränkt.
Ein Unternehmen führte beispielsweise regelmäßig die Planung von Budgets lückenhaft und fehlerhaft durch. Veränderungen im Budgetierungsprozess führten nicht zur gewünschten Verbesserung der Planungsergebnisse. In einem Beratungsprozess stellte sich heraus, dass der Grund für die unzureichende Budgetplanung in einem vom Unternehmen gestützten „Beeil Dich! – Antreiber“ lag. Der Führungskreis war der Meinung, dass „kurze und knackige Abstimmungsgespräche“ hilfreicher sind als „endloses Diskutieren“. Tatsächlich führte dies zu hektischem Arbeiten im Finanzbereich, so dass verschiedene Informationen nicht oder nicht ausreichend erhoben, dokumentiert und zusammengeführt wurden.
Wie können wir diesen Verhaltensmustern begegnen? – Ein Lösungsansatz
Es gibt viele Möglichkeiten, um aus diesen Antreiberdynamiken herauszukommen. Voraussetzung ist, dass den handelnden Personen bewusst wird, was passiert. In jedem der fünf Antreiber steckt eine Kernaussage, die durchaus ihre Berechtigung hat. Es ist ja beispielsweise manchmal hilfreich, wenn man sich anstrengt, um ein Ziel zu erreichen. Jedoch nicht in dieser Ausschließlichkeit und Absolutheit, wie es sich in unserem Unterbewusstsein manifestiert hat. Diese grundsätzlich sinnvollen Kernaussagen, machen es schwer, dahinter ein hinderliches Antreiberverhalten zu entdecken.
Wenn das Bewusstsein da ist, dass es sich um ein Anteiberverhalten im Sinne der TA handelt, kann erkannt werden, dass prinzipiell ein anderes Verhalten möglich ist. Auch ist wichtig zu erkennen, dass es sich dabei um tiefsitzende Verhaltensstrategien handelt, deren nachhaltige Veränderung Zeit und ein „dranbleiben“ erfordert.
Eine Möglichkeit, Antreiberverhalten zu begegnen, ist die Arbeit mit Erlaubnissen. Diese Erlaubnisse sollten so formuliert sein, dass sie die entsprechende Person in der Tiefe anspricht. Ein Zeichen dafür, dass ein Erlaubnissatz gut zutrifft, kann sein, wenn die Person denkt „Darf ich das wirklich?“ und dabei ein Gefühl der Aufgeregtheit, des spitzbübisch Verbotenen oder der Befreiung hat. Hilfreich ist es, mit Freunden, Beratern oder Coaches zu arbeiten.
Nachfolgend ein paar Ideen dazu:
Antreiber + Erlaubnissatz
- …perfekt sein … : „Du darfst Dich so zeigen, wie Du bist.“
- … sich beeilen … : „Du darfst Dir die Zeit nehmen, die Du brauchst.“
- … sich anstrengen … „Du darfst es gelassen tun.“
- … anderen gefällig sein … : „Du darfst auf Deine Bedürfnisse achten und diesen Raum geben.“
- …stark sein … : „Du darfst offen sein und Deine Gefühle zeigen.“
Wiederkehrende Verhaltensmuster geben uns manchmal das Gefühl, dass manches nicht verändert werden kann. Unser Skript schreiben wir in frühen Kindertagen. Doch damit hört es nicht auf. Wir können uns jederzeit entscheiden, unser Lebensdrehbuch so umzuschreiben, dass es hier und jetzt passt, dass wir all unsere Ressourcen und Kompetenzen auf unsere ganz persönliche Art und Weise erleben und einbringen können. Das ist durch eine Auseinandersetzung mit den Modellen und Theorien der Transaktionsanalyse möglich.
Haben Sie beim Lesen vielleicht Antreiber bei sich oder in Ihrer Organisation entdeckt? Spricht einer der Erlaubnissätze Sie an? Oder wie könnte Ihre hilfreiche Erlaubnis lauten, die Sie sich in Ihr Lebensdrehbuch schreiben?
In meinem Beratungsbeispiel haben wir einen passenden Erlaubnissatz gefunden, den sich die Kundin am Spiegel im Bad aufgehängt hat: „Du darfst Deine neue Selbständigkeit auf Deine ganz eigene Art und Weise angehen.“ Jeden Morgen warf sie einen Blick darauf, mit immer größerer Überzeugung, dass dieser Satz wahr ist. Sie fand neue Ideen, wie sie ihr Leistungsangebot und die Bedürfnisse des Kundenkreises zusammenbringen kann und wie sie das in der Akquisition rüberbringt. Die Kundin richtete sich auf, und wusste wieder, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
Über die Autorin:
Susanne Alt
Unter dem Namen S.ALT & MORE bietet sie Dienstleitungen als Organisationsberaterin, Trainerin und Coach an und begleitet Menschen und Unternehmen bei ihren Entwicklungsprozessen. Als lehrende Transaktionsanalytikerin bildet sie aus Überzeugung Menschen in Transaktionsanalyse aus. „Die Auseinandersetzung mit den Gedanken, Modellen und Grundhaltungen der TA bringen Qualität in mein Leben und in meine Arbeit. Diese Erfahrung möchte ich gerne weitergeben.“
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