Pass dich an UND bleib du selbst!
Vom Chamäleon für den Berufsalltag lernen
Früher war alles anders. Überschaubar. strukturiert und geordnet. Die Arbeitszeit lag zwischen neun und fünf Uhr. Gearbeitet wurde dort, wo der Betrieb stand. Und nur dort. Es gab feste Hierarchien, die immergleichen Kollegen, mit denen man die immergleichen Aufgaben erledigte und eine klare Definition, was eine erfolgreiche Karriere ausmacht: Geradlinig und schnörkellos muss es aufwärts gehen, Stufe um Stufe die Leiter hinauf. Von der Ausbildung bis zur Pension war der Weg genau vorgezeichnet, die Firma zeigte sich großzügig bei den Sozialleistungen, es gab einen hohen Kündigungsschutz, und auch die Altersvorsorge war gesichert.
Welcome to the jungle!
Vergangene Zeiten – für immer mehr Menschen. Das ständige Ringen um Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in einem weltumspannenden Wirtschaftsraum und die rasant voranschreitende technische Entwicklung rütteln an den Grundfesten des so genannten Normalarbeitsverhältnisses. Aus dem Schrebergarten der Arbeitswelt mit seinen abgezirkelten Parzellen ist ein wild wuchernder Dschungel geworden!
Ein Dschungel, in dem sich immer mehr Menschen immer weniger gut zurechtfinden. Die Herausforderungen sind enorm: Wir sollen mobil, zeitlich möglichst flexibel und fachlich immer auf dem neuesten Stand sein und tagtäglich möglichst viele Aufgaben gleichzeitig bewältigen. Wir sollen Allrounder sein und gleichzeitig Spezialisten. Im Team aufgehen und als Einzelkämpfer herausragen. Aber wie, bitteschön, soll das funktionieren? Vor lauter Anpassung verlieren wir unsere eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele aus den Augen, vor lauter Zeit- und Leistungsdruck gehen wir über unsere Grenzen und rutschen ins Burnout.
Burnout mit Mitte vierzig?
Wie ernst die Lage mittlerweile ist, zeigt eine aktuelle Untersuchung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger: Während die klassischen Arbeitsunfälle seit Jahren zurückgehen, sind psychisch bedingte Krankenstände wie Depressionen und Angststörungen auf dem Vormarsch. Laut der Untersuchung stiegen Krankenstände wegen psychischer Diagnosen doppelt so stark an wie jene mit körperlichen Ursachen. Dazu dauerten die Krankenstände im Durchschnitt 40 Tage und damit fast viermal so lang wie bei den körperlich Erkrankten. Beunruhigend auch: Jede dritte Frühpensionierung beruht mittlerweile auf psychischen Diagnosen!
Das Chamäleon-Prinzip
Burnout mit Mitte vierzig? Soweit darf es nicht kommen! Aber welche Möglichkeiten gibt es, mit den sich ständig verändernden Bedingungen zurechtzukommen? Was genau sind die Herausforderungen und warum bereiten sie uns solche Probleme? Welches „innere Handwerkszeug“ besitzen wir, um die Probleme aus eigener Kraft bewältigen zu können? Diesen Fragen sind wir in unserem Buch „Das Chamäleon-Prinzip“ nachgegangen. Wir haben Betroffene interviewt, Experten befragt und zeigen Methoden auf, die Betroffenen einen Ausweg aus der Überforderung, dem Zeitdruck und Dauerstress weisen können.
Im Kern geht es darum, immer wieder die Balance zu finden. Die Balance zwischen dem, was uns die moderne Arbeitswelt bietet und abverlangt und dem, was uns ganz persönlich entspricht. Das Chamäleon steht für diese Balance. Denn es wird eins mit seiner Umgebung, aber bleibt dabei immer 100 Prozent es selbst. Und es hat weitere nützliche Eigenschaften, die uns, im übertragenen Sinne natürlich, weiterhelfen können:
Das Chamäleon praktiziert den Farbwechsel nämlich nicht nur, um sich ans Außen anzupassen, sondern auch, um mit seiner Umgebung zu kommunizieren. Mit seinen Schillerschuppen bekennt es Farbe, stellt sich aber auch auf seine Umwelt ein. Diese Fähigkeit brauchen wir im Berufsleben genauso wie im Privaten. Sie hilft uns, klar und verbindlich zu kommunizieren, konflikt- und konsensfähig zu sein, uns in die Gruppe einzubringen und gleichzeitig unsere Position zu verdeutlichen.
Das Chamäleon hat den Panoramablick. Er steht für die Fähigkeit, gleichzeitig sich selbst und das große Ganze im Auge zu behalten. Das hilft in einer globalisierten Welt, in der alles miteinander vernetzt ist. Der Panoramablick steht für eine bestimmte Art, die Welt und unser Arbeitsumfeld zu betrachten, für eine bestimmte Art zu denken. Es ist ein systemisches Denken, ein Denken in Zusammenhängen. Der Panoramablick ermöglicht uns eine offene und damit entspannte Haltung. Wir sehen unsere Chancen, können den Überblick wahren und gleichzeitig unsere Grenzen erkennen.
Das Chamäleon setzt seine Zangenfüße ein, um in luftiger Höhe nicht vom Ast zu purzeln. Auch wir bewegen uns in luftigen Höhen. Unser Berufsalltag ist immer stärker digitalisiert. Unser Tagwerk wird so weniger sichtbar und messbar, der Kontakt zu Kollegen erfolgt oft nur mehr virtuell. Dadurch verlieren wir den Bezug zu unserer Arbeit. Wenn wir lernen, unsere „Zangenfüße“ einzusetzen, verschaffen wir uns die nötige Bodenhaftung und Greifbarkeit. Wir kommen wieder in Kontakt mit unseren Kollegen und unseren Arbeitsaufgaben.
Heute Wien, morgen Washington? Arbeit macht mobil. Und wir sollen in der Lage sein, mal eben so den Arbeitsort, den Arbeitgeber oder gar den Beruf zu wechseln. Wer flexibel sein will, muss sich gleichzeitig fest in sich verankern. Dafür steht das Chamäleon mit seinem Wickelschwanz. Mehrmals um den Ast geschlungen, kann es sich unbesorgt gaaaanz lang ausstrecken.
Arbeit verdichtet sich. Mit Zeitdruck klar zu kommen, ist heute eine der größten Herausforderungen. Immer mehr soll in immer kürzerer Zeit bewältigt werden. Wir brauchen deshalb die Fähigkeit, in uns selbst zu ruhen und im rechten Moment gezielt zu handeln. Zeitlupe und Zungeschuss!
Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt erfordern es, dass wir uns ein Leben lang weiterbilden. Auch hier entsteht Druck, denn woher sollen wir wissen, was wirklich für unsere persönliche Entwicklung wichtig und richtig ist? Welche Fähigkeiten brauchen wir, was sichert uns den Lebensunterhalt? Auch das Chamäleon entwickelt sich sein Leben lang, aber erst, wenn es im Innern eine neue Haut gebildet hat, stößt es seine alte Außenhaut ab. Die Häutung des Chamäleons steht für berufliche und persönliche Entwicklung, die von innen motiviert und gelenkt ist. Für gesundes Wachstum in der eigenen Geschwindigkeit.
Kernkompetenz: Verantwortungsvolles Abwägen
Anpassung und Eigenart – das sind zwei Grunddynamiken in unserem Leben. In dem Spannungsfeld dazwischen müssen wir uns ständig neu positionieren, mit Widersprüchlichkeiten zurechtkommen und komplexe Zusammenhänge durchschauen. Wir müssen lernen, mit Unvorhergesehenem zurechtzukommen und immer wieder ein Gleichgewicht zu finden zwischen Gemeinwohl und persönlicher Erfüllung. Ein ständiger Prozess und eine wichtige Kernkompetenz in der modernen Arbeitswelt. In unserem Buch zeigen wir, wie wir uns diese Kompetenz erarbeiten und damit unser Berufsleben (selbst-) bewusster und gleichzeitig gemeinschaftlicher gestalten können.
Und: Wir möchten Mut machen, sich mit den Bedingungen auseinander zu setzen, aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen – egal ob man nun Arbeitnehmer ist oder Arbeitgeber, Freiberufler oder Führungskraft.
Über die Autorinnen
Nina Brodbeck ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Beruf und Studium, Psychologie und Reportagen aus Entwicklungsländern. Sie arbeitete für das Zweite Deutsche Fernsehen, war Chefredakteurin des Magazins von Ärzte ohne Grenzen in Wien und hat über die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller promoviert.
Weitere Informationen über Nina Brodbeck unter www.buchstabenflug.de
Katrin Thorun-Brennan ist Diplom-Psychologin, Supervisorin und Coach. Sie begleitet seit vielen Jahren Arbeitsteams, Freiberufler, Angestellte und Führungskräfte auf ihrem Weg zu einem zufriedeneren Berufsleben.
Weitere Informationen über Katrin Thorun-Brennan unter www.thorun-brennan.de