Freiarbeit ist eine Form des Lernens, die sich an den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Lernenden ausrichtet und einen Prozess selbstständiger Arbeit ermöglicht. Freiarbeit ist selbstbestimmtes Lernen und zählt zu den Konzepten des Offenen Unterrichts. Die Freiarbeit ist keine beliebig hantierbare Methode, sondern kommt nur in einem klaren pädagogischen Begründungszusammenhang sinnvoll zur Geltung.
Es gibt keine angeordneten Pausen. Die Kinder entscheiden selbst, wann sie Jause essen, oder auf die Toilette gehen.
Die Pädagogin in der Freiarbeit
Die Pädagogin ist als Unterstützung und Hilfestellung im Raum. Es ist hier nicht von Nöten den Kindern mehr als zu assistieren.
Da die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen sollen, wäre es schädlich ihnen zu viel Hilfe zu geben. Bei Regelübertritten, die nicht von den Kindern auf friedliche Art geklärt werden können, sollte die Pädagogin einschreiten.
Wenn Kinder ziellos erscheinen, darf sie ihnen auch eine Arbeit anbieten, doch muss sie wissen wann sie sich zurückzieht.
Das Kind wird nicht in seiner Arbeit unterbrochen, gestört, oder korrigiert. Bei Fehlern denkt die Pädagogin über sich und ihre Darbietung nach. Denn wenn das Kind etwas bei der ersten Darbietung übersehen hat, liegt dies nicht immer am Kind. Geduldig und nie gereizt, zeigt die Pädagogin dann den nicht verstandenen Schritt ihrer Erklärung nochmals.
Die Pädagogin führt genaue Aufzeichnungen über die Entwicklungsprozesse der Kinder und deren Materialwahl, um die Vorbereitete Umgebung den Bedürfnissen der Kinder besser anpassen zu können.
„Das ganze bewusste Streben des Kindes geht dahin, sich durch die Loslösung vom Erwachsenen und durch die Selbständigkeit zur freien Persönlichkeit zu entwickeln. Unsere Erziehung trägt diesem Streben Rechnung: und unser Bemühen ist es, dem Kind zu helfen, selbstständig zu werden.“[1]
Die freie Wahl der Arbeit
“Die Kinder in unseren Schulen sind frei, aber eine Organisation ist notwendig: eine sorgfältige Organisation, damit die Kinder frei sind zu arbeiten.”[2]
Die Auswahl ob-, oder mit welchem Material das Kind arbeitet, liegt bei ihm. Dadurch hat es selbst die Verantwortung für die Wahl seiner Arbeit. Manche Kinder brauchen in der Anfangszeit im Kinderhaus/Schule noch etwas mehr Zeit, oder Anleitung bei der Wahl des Materials. Doch in keinem Fall wird dem Kind eine Arbeit vorgeschrieben noch wird es dazu genötigt.
Mit der Verantwortung der Entscheidung, wächst in dem Kind das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl. Die Kompetenz, die Kinder für ihr Leben, durch diese vielleicht klein erscheinenden Entscheidungen, mitnehmen sind ausschlaggebend für ihre weitere Entwicklung. Sie erlangen mehr Sicherheit in ihren Entscheidungen und übernehmen Verantwortung für ihre Taten (Auch außerhalb des Kinderhauses/ Schule).
Wie lange sich Kinder einem Material widmen ist ihnen selbst überlassen. Manche Kinder sind nach einer Darbietung bereits zufrieden und räumen das Material wieder weg, andere arbeiten Stunden mit einem Material.
Die Dauer der Beschäftigung mit dem Material ist meist abhängig von der Tagesverfassung und dem Alter. Je älter die Kinder sind, umso länger bleiben sie bei dem Material ihrer Wahl.
Kinder wählen Materialien, die ihren sensiblen Perioden entsprechen.
Je nach Bedürfnis wählen die Kinder die Materialien aus. Bei jungen Kindern habe ich schon mehrmals beobachtet dass sie sich immer wieder das gleiche Material holen, bis sie davon richtig ‘satt’ geworden sind. Der Gesichtsausdruck, den sie dann haben, wirkt unglaublich zufrieden und ruhig.
“Der Aufbau des Charakters ist eine Eroberung. Hier liegt der Unterschied zwischen der alten und der neuen Erziehung. Wir wollen den Selbstaufbau des Menschen in der dazu geeigneten Periode unterstützen, um ihn die Möglichkeit zu geben, zu etwas Großem aufzusteigen. Die Gesellschaft hat Mauern und Barrieren errichtet.
Die neue Erziehung muss sie niederreißen und den freien Horizont zeigen. Die neue Erziehung ist eine Revolution ohne Gewalt. Nach ihr wird keine gewalttätige Revolution möglich sein.[3]
Die freie Wahl des Ortes
Die Kinder können in einem Montessori Kinderhaus den Ort ihres Arbeitsplatzes frei wählen. Sie dürfen an Tischen und am Boden arbeiten. Wenn sie auf dem Boden arbeiten wollen, brauchen sie einen Teppich, der ihnen als Tischersatz zur Verfügung steht. Die Teppiche sind im Normalfall etwa einen Meter lang und einen halben breit. Die Kinder können so mit Materialien arbeiten, die auf dem Tisch keinen Platz hätten, oder zu Schwer sind. Der Teppich Symbolisiert für die anderen Kinder in der Gruppe die Grenze seines Bereiches, auf den niemand treten darf.
Wenn ein Kind am Tisch arbeitet kann es auch kleine Tischteppiche verwenden, die für Schüttübungen mit Wasser jedoch ungeeignet sind.
Manchmal muss man für Arbeiten auch in den (wenn vorhanden) Garten gehen.
Freie Wahl des Partners
Die Kinder sind in ihrer Arbeit nicht dazu angehalten alleine zu arbeiten. Sie können sich untereinander verständigen und suchen sich Partner. So üben sie auch den Umgang mit Menschen und lernen mit einander zu reden.
Manche Kinder arbeiten lieber alleine und auch das ist vollkommen in Ordnung.
Wichtig ist das die Kinder keinen Partner aufgezwungen bekommen und sich in der Wahl nicht gedrängt fühlen. Sie lernen in dieser geschützten Umgebung ein höfliches Miteinander und werden deshalb oft von der Außenwelt als besonders freundlich erkannt.
Die Freiheit in dieser Entscheidung ist in manchen Fällen für ein Kind schmerzhaft, da es abgewiesen wird, doch auch dies ist ein wichtiger Lernprozess für das Kind.
Polarisation der Aufmerksamkeit
Maria Montessori benennt so die tiefe Konzentration bei Kindern. Sie ist das was in der Arbeit mit den Kindern angestrebt wird. Kinder, die auf diese Art auf ihre Arbeit konzentriert sind, nehmen ihre Umgebung nicht mehr wahr und versinken in ihrer Arbeit.
Voraussetzungen für eine Polarisation der Aufmerksamkeit sind:
– Beobachtung der sensiblen Phasen
-innere Leitfunktion der vorbereiteten Umgebung für die selbständige Entwicklung kindlicher Intellektualität und Personalität
-Die Freiheit der initiative
-Die Freiheit der Wahl
-unbedingtes Vertrauen des Erwachsenen zum Kind und seiner Arbeit
“…Gerade diese Erscheinungen haben meine Methode bekannt gemacht, nämlich die Aufmerksamkeit und Konzentration unserer Kinder, ihre Disziplin, die Freude und die Heiterkeit, mit der sie ihre Arbeit tun, alles das überstieg die Erwartungen, die man sich von einem Experiment hätte machen können. Am Anfang des Weges steht also eine Entdeckung , die nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die Frucht fleißiger Forschung war.”[4]
Über die Autorin:
Stefanie Holubek: Nach der Absolvierung der Schulpflicht in Montessori-Einrichtungen und der Matura, legte ich 2009 nach zweieinhalbjähriger Ausbildung die Montessori-Diplomprüfung ab. Ich arbeitete bereits seit 2004 in den familieneigenen Betrieben mit. Im Montessori Kinderhaus ATHENAS leite ich selbständig meine eigene Gruppe, des Weiteren bin ich als Pädagogische Leiterin für Personalangelegenheiten und Personalschulungen zuständig. Bei Vorträgen und Seminaren im Institut für Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz (IfPS) bin ich im Betrieb als Trainerin, mit Schwerpunkt auf Montessori Pädagogik und wertfreie und gewaltfreie Kommunikation, tätig.
Weitere Informationen über zum Thema Montessori Pädagogik finden sie unter Institut für Persönlichkeitsentwicklung und Sozialkompetenz
Quellen und weiterführende Literatur:
[1] Montessori Maria, Kinder sind anders, Herder, 1991, 273 ff
[2] Montessori Maria, Das kreative Kind, Herder, 1991, S 220
[3] Montessori Maria, das Kreative Kind, Herder, 1991, S 186 ff
[4] Montessori Maria, Grundlagen meiner Pädagogik, Quelle und Meyer,9. Aufl., 2005, S.51