Coaches sind keine „Rezeptgeber“ oder „Lösungslieferanten“, sondern „Befähiger“ und „Ermöglicher“. Deshalb haben sie eine andere Arbeitsweise als Trainer und Berater. Das setzt auch ein anderes Selbstverständnis sowie Verständnis von Wirklichkeit voraus. Die Wiener Coach-Ausbilderin Sabine Prohaska nennt sieben Grundprinzipien, von denen sich Coachs bei ihrer Arbeit leiten lassen.
Prinzip 1: Zirkularität statt Täter-/Opferperspektive
Im Mittelpunkt der Coachingarbeit stehen der Klient und sein Beziehungssystem. Systemische Sichtweisen sind bemüht, die Probleme von Menschen im Kontext ihrer
- biographisch bedingten Entwicklung sowie
- sozialen Vernetzung in ihrem privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld
zu verstehen.
Zirkularität bedeutet in diesem Kontext: In komplexen, sozialen Prozessen (wie zum Beispiel bei der Zusammenarbeit in Unternehmen) kann zwischen Ursache und Wirkung nicht klar unterschieden werden. Denn: Jedes Verhalten einer Person wirkt auf das der relevanten Mitglieder ihrer Umwelt, und deren Reaktionen wiederum auf die Person zurück.
Zirkularität negiert somit eine lineare Kausalität, die Voraussetzung für ein Identifizieren von Verursachern ist. Folglich geht es beim Coachen nie um die Suche nach Schuldigen beziehungsweise den Auslösern einer Situation, weil alles mit allem verbunden ist. Vielmehr ist das Veranschaulichen und Verändern von (Kommunikations-, Wahrnehmungs- und Interpretations-)Strukturen ein wesentliches Ziel system-orientierter Modelle.
An die Stelle linearer Betrachtungsweisen – A verursacht B – treten zirkuläre, kreisförmige Betrachtungsweisen: A wirkt auf B, und B wirkt auf A zurück. Bei der zirkulären Betrachtungsweise geht es also um Wechselbeziehungen. Die Maxime lautet: Blicke weiter, schaue auf das Ganze.
Prinzip 2: Allparteilichkeit und Neutralität versus Parteilichkeit
Neutralität ist eine wichtige Haltung von Coaches. Sie beinhaltet eine gelassene Neugier gegenüber allen Sichtweisen, Erklärungen und Werten – und seien sie dem Coach noch so fremd. Neutralität zeigt sich auch in der Allparteilichkeit – also im Bestreben, alle Mitglieder des Systems aus ihrer Perspektive heraus zu verstehen und ihre Sichtweisen zu wertschätzen.
Zuweilen ist es sinnvoll, als Coach auch gegenüber Problemen und dem Wunsch nach Veränderung neutral zu sein. Fragen, die eine entsprechende Neutralität signalisieren, sind unter anderem:
- „Wie würde Herr/Frau X das beschreiben?“ Und:
- „Was spricht dafür, alles so zu lassen, wie es ist?“
Das Prinzip der Allparteilichkeit hat jedoch Grenzen. Coachs haben als Konfliktlotsen auch die Aufgabe, die Coachees, also ihre Klienten, zu ermächtigen, sich gegen ungerechte Strukturen zu wehren – die zum Beispiel eine ökonomische, politische oder soziale Benachteiligung bewirken. Also müssen sie beim Prinzip der Neutralität darauf achten, wann eine andere Grundhaltung der Situation angemessener ist.
Prinzip 3: Grundhaltung des Nicht-Wissens
Hiermit ist nicht gemeint, dass professionelle Caches so tun, als wüssten sie nichts. Vielmehr bezieht sich diese Grundhaltung auf die Art des Umgangs mit ihrem Wissen.
Coaches formulieren und artikulieren Hypothesen nicht aus der überlegenen Haltung eines Experten heraus, der mehr als der Klient weiß (und/oder kann), sondern aus der bescheidenen Haltung des Nicht-Wissens. Denn professionelle Coaches wissen zwar viel, sie wissen aber nicht, was das Beste für ihre Gesprächspartner ist. Das müssen diese selbst entdecken. Außerdem kennen oder erahnen die Coaches aufgrund ihrer Erfahrung und Profession zwar mögliche Lösungen des Problems. Doch sie wissen nicht, was die Lösung des Coachees ist – denn sie sind keine „Rezeptgeber-“ oder gar „-lieferanten“, sondern „Befähiger“ und „Ermöglicher“.
In Zwangskontexten ist es besonders wichtig, die Grundhaltung des Nicht-Wissens einzunehmen beziehungsweise durchzuhalten; außerdem in Situationen, in denen der Coach vom Coachee (oder vom ihn beauftragenden System) als Experte, sprich Problemlöser angefragt ist. In ihnen können Coaches zwar durchaus eine erste eigene Meinung kundtun oder Einschätzung geben, diese sollte jedoch stets als vorläufige sowie zu überprüfende und gegebenenfalls revidierbare gekennzeichnet sein. Denn der Coachee ist und bleibt auch dann der Experte für das Problem und seine Lösung. Und dies gilt es zu artikulieren.
Prinzip 4: Wertschätzung und Respekt für die Person
Ein systemisches Coaching setzt Respekt und Wertschätzung für die Person des Coachees voraus. Diese Haltungen sind die Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Respektlos kann sich ein Coach jedoch gegenüber dem Problem des Coachees und seinen Symptomen zeigen – nicht selten ist dies sogar nötig, um Impulse zur Veränderung zu setzen.
Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Beziehung Coach-Coachee für den Coachee erkenn- und erfahrbar von Respekt und Wertschätzung geprägt ist. Sonst besteht die Gefahr, dass der Coachee die Respektlosigkeit gegenüber seinem Problem als Ausdruck mangelnder Wertschätzung seiner Person interpretiert.
Prinzip 5: Lösungs- und Ressourcenorientierung
Beim systemischen Coaching erfolgt eine Fokusverschiebung vom Individuum hin zum Kontext der Problementstehung. Eine Kernfrage lautet: Wer ist an der Problemerzeugung und am Aufrechterhalten des Problems beteiligt?
Lösungsorientierung bedeutet: Der Fokus wird vom Problemsystem zum Lösungssystem verlagert: Wer (und was) ist wichtig für die Lösung des Problems?
Der amerikanische Psychotherapeut und Fachbuchautor Steve de Shazer und sein Team haben die Lösungsorientierung zu einer eigenen Beratungsform ausgebaut. Sie stellen standardmäßig folgende Fragen:
- „Angenommen Ihr Problem ist gelöst: Was ist dann anders?“ Und:
- „Welche Ausnahmen vom Problem gab es? Wann und wo war das? Was war damals anders?“
Solche Fragen verlagern den Schwerpunkt der Aufmerksamkeit vom Problem und dem, was nicht funktioniert, hin zur möglichen Lösung. Außerdem wird nach Ressourcen gefragt: Welche Beteiligten haben welche Fähigkeiten, Stärken, kraftvollen und „gesunden“ Seiten?
Ressourcenorientierung bedeutet: Coaches gehen davon aus, dass ihre Klienten die erforderlichen Möglichkeiten und Potenziale haben, ihre Probleme selbst (oder mit selbst organisierter Unterstützung) zu lösen. Dieses Bewusstsein gilt es ihnen auch zu vermitteln. Doch wie fast immer gibt es Ausnahmen von der Regel. Deshalb lautet ein weiteres wesentliches Coaching- Prinzip: einen Unterschied machen, der einen wirklichen Unterschied macht.
Das heißt für Coaches konkret, dass sie sich in Klienten-Gesprächen zum Beispiel fragen:
- „Ist es in dieser Situation (in dieser Familie, bei diesem Klienten) wirklich zielführend, den Blick vor allem auf die Ressourcen zu richten, oder
- wäre es zielführender, das ‚reale‘ Problem zu analysieren und zu ‚bearbeiten‘?“ (also das Gespräch zum Beispiel auf die materielle Existenzsicherung des Klienten zu fokussieren oder die konkrete Sachhilfe, die er benötigt)?
Prinzip 6: Kunden-/Klientenorientierung
Coaches sind persönliche Dienstleister, die für ihre Leistungen bezahlt werden – direkt oder indirekt. Folglich orientiert sich der Coachingprozess primär an den Interessen und Zielen ihrer Klienten beziehungsweise Coachees und nur sekundär an ihren eigenen Zielen.
Deshalb ist ein zentrales Element des Coachings die Klärung der Aufträge der Klienten. Diese werden so weit operationalisiert, dass möglichst allen Beteiligten klar wird, wie die Zielerreichung aussieht und woran man sie erkennt. Ob und wann das Ziel erreicht ist, entscheidet jedoch der Klient oder Kunde. Er ist der Experte in Bezug auf die Inhalte der Beratung, also der „Kundige“ seiner Probleme. Folglich ist er auch der Experte für seine Lösungen – der Coach ist nur der Experte für den Prozess.
Prinzip 7: Die Wirklichkeit ist eine subjektive Konstruktion
Gefragt wird im systemischen Coaching nicht danach, wie es „wirklich“ ist, sondern nach Ideen und Bedeutungsgebungen. Denn die „Wirklichkeit“ (einer Person) wird stets als eine subjektive, also vom Individuum selbst konstruierte erachtet, in die unter anderem individuelle Erfahrungen und Werte einfließen.
Und die Probleme sowie deren Symptome? Sie werden im Zusammenhang mit erstarrten Wirklichkeitskonstruktionen gesehen, aus denen der Coachee sich ohne Unterstützung nicht oder nur schwer lösen kann. Aufgabe des Coaches ist es, dem Coachee neue Perspektiven/Sichtweisen und somit neue Möglichkeiten zu eröffnen und nicht „falsche“ durch „richtige“ Wirklichkeitskonstruktionen zu ersetzen.
Systemische Praxis wird – in Anlehnung an Heinz von Foerster, einem Mitbegründer der kybernetischen Wissenschaft – oft verstanden unter dem Leitmotiv: „Anders sehen – anders handeln“.
Eine beobachter-unabhängige Wirklichkeit gibt es beim systemischen Coaching nicht (beziehungsweise ist uns Menschen nicht zugänglich). Denn, alles was wir wahrnehmen, was um uns passiert sowie was andere tun, hat immer auch mit uns zu tun beziehungsweise damit, wie wir die Ereignisse und Wahrnehmungen interpretieren. Unsere subjektive „Wirklichkeit“ ist somit auch eine Reaktion auf unser Dasein und Verhalten.
Guter Artikel, der die relevanten Haltungsfragen und daraus resutlierendes Agieren von Coaches beschreibt. Und: beim Coaching arbeitet hauptsächlich der/die Klient_in/Coachee… es sei denn, es handelt sich nur um „Besucher_innen“. Reinhard Krechler http://www.beraterkreis.at