Konflikte mit anderen Personen sind ein häufiger Anlass, warum Frauen oder Männer einen Coach aufsuchen. Also sollten Coachs wissen, welche Ziele man bei einem Konfliktcoaching erreichen kann und wie man diese erreicht.
Konflikte werden von den Betroffenen als unangenehm und energieraubend empfunden. Und die Personen, die wegen eines Konflikts einen Coach aufsuchen – also die Coachees? Sie geben meist dem Konfliktpartner die Schuld an der Situation; zumindest trägt er in ihren Augen den Löwenanteil hieran. Deshalb ist ihr häufigstes Einstiegsziel: Der Konfliktpartner soll sich oder sein Verhalten ändern.
Ein systemisches Coaching kennt aber die Kategorien „schuldig“ oder „richtig und falsch“ nicht. Denn Konflikte werden als eine Verflechtung von Gegebenheiten im System (zum Beispiel Familie, Organisation) gesehen. Und Verhaltensweisen? Sie werden als durch Situationen und Verhaltensweisen von Systempartnern bedingt erachtet.
Ein realistisches Ziel formulieren
Deshalb lauten die zentralen Fragen beim lösungsorientierten Arbeiten eines systemischen Coachs mit seinem Coachee:
- „Was können Sie tun, damit es künftig nicht mehr zum Konflikt kommt?“ Beziehungsweise:
- „Was können Sie tun, damit Sie die Situation nicht mehr so belastet?“
Denn unrealistisch ist (meist) das Ziel, den Konfliktpartner zu ändern. Als gilt es herauszufinden, was den Coachee genau an der aktuellen Situation stört und welche Veränderungen er sich wünscht. Je präziser er dies benennen kann, umso leichter kann er mögliche Lösungswege ermitteln.
Bei vielen Konflikten ist keine direkte Lösung der Situation möglich. Der Coachee kann zum Beispiel seinen Kollegen nicht ent- oder die Firma verlassen, weil er seine Familie ernähren muss. Er kann aber an einer Lösung zweiter Ordnung arbeiten – nämlich seiner Einstellung zu den Dingen:
- „Was kann ich tun, um die Situation bestmöglich auszuhalten?“ Oder:
- „Was kann ich unternehmen, damit es nicht schlimmer wird?“
Dann sollte sich der Coach mit dem Coachee auf die Suche nach Ressourcen begeben, die Letzterem hierbei helfen. Beim Konfliktcoaching haben sich unter anderem folgende Übungen bewährt.
Intervention 1: Mit einer Metapher, einem Bild arbeiten
Ziel: Den Coachee zum Einnehmen einer anderen Perspektive motivieren, damit sich eventuell neue Lösungswege zeigen.
Dauer: 10 bis 15 Minuten
Vorgehen: Vermutlich kennen Sie sogenannte Umspring- oder Kippbilder, bei denen man abhängig von der Perspektive ein anderes Motiv sieht. Ein sehr bekanntes Kippbild ist das Bild, bei dem man abhängig von der Perspektive eine junge oder alte Frau sieht.
Fragen Sie den Coachee, was er zum Beispiel auf dem Bild oben sieht. Abhängig davon, welche der beiden Frauen er sieht, bitten Sie ihn, die jeweils andere Frau zu sehen. Das ist erfahrungsgemäß schwierig und dauert meist einige Zeit (Tipp: Das Kinn der alten Frau ist der Hals der jungen Frau; die Nase der alten Frau ist das Profilbild der jungen).
Anhand dieser Metapher können Sie als Coach anschließend den Coachee zur Reflexion der Konfliktsituation anregen – zum Beispiel mit folgenden Fragen:
- „Was bedeutet diese Erfahrung (mit dem Kippbild) für Ihre aktuelle Konfliktsituation?“
- „Welche Seite sehen Sie gerade in dem Konflikt? Wie können Sie diese beschreiben?“
- „Wie könnte eine andere Seite aussehen? Wie können Sie diese beschreiben?“
Menschen in Konflikten tendieren zur Schwarz-Weiß-Malerei. Es gibt aber immer auch eine andere Sichtweise der Dinge. Man muss sich aber, wie bei dem Bild, bemühen, die andere Seite zu sehen – dann zeigen sich auch neue Lösungen.
Intervention 2: „Drehschalter“ zur Beruhigung
Ziel: Reduktion von Unruhe, Zorn, Ärger; Hilfe zur Selbsthilfe. Zu starke Emotionen machen ein lösungsorientiertes Vorgehen nicht nur im Coaching, sondern auch Alltag meist unmöglich. Deshalb ist diese Übung für Coachees auch in ihrem täglichen Leben hilfreich.
Dauer: 5 bis 10 Minuten
Vorgehen:
Schritt 1: Der Coach bittet den emotional stark aufgewühlten Coachee, seine Aufmerksamkeit auf seinen Körper zu lenken (Atemfluss beobachten, die Sitzunterlage spüren usw.)
Schritt 2: Der Coachee soll sich bildlich einen Drehschalter vorstellen, mit dem er zum Beispiel seine Unruhe regulieren kann: von 0 (= ganz entspannt) bis 10 (= sehr aufgeregt).
Schritt 3: Der Coachee soll einschätzen, auf welcher Stufe seine Unruhe sich im Moment befindet (zum Beispiel bei 8).
Schritt 4: Danach bittet der Coach ihn, den Schalter vor seinem inneren Auge langsam auf eine niedrigere Stufe zu drehen – soweit ihm möglich.
Schritt 5: Der Coachee soll berichten, auf welcher Stufe er sich jetzt befindet und wie er sich nun fühlt.
Schritt 6: Der Coach ermutigt den Coachee, diese Übung auch im Alltag anzuwenden, sobald er starke Emotionen verspürt, die ihm einen konstruktiven Umgang mit Konflikten erschweren.
Intervention 3: Musterunterbrechung
Ziel: Unterbrechung/Veränderung (komplexer) Verhaltensmuster – zum Beispiel solcher, die mit zwei oder mehr anderen Menschen zusammenhängen.
Dauer: 45 bis 60 Minuten.
Benötigtes Material: Papierbogen, vier verschieden-farbige Stifte
Vorgehen:
Schritt 1: Der Coachee schildert belastende Situationen, in denen er regelmäßig dieselben Verhaltensmuster zeigt.
Schritt 2: Der Coachee sagt, was er bezüglich dieser Situationen erreichen möchte.
Schritt 3: Verschriftlichte Analyse des Verhaltensmusters und der möglichen Lösungen
Teilschritt 3.1., Farbe 1: Auflistung des Musters durch den Coach (am Besten in Form von Ich-Aussagen des Coachees):
- Der Coach fragt nach dem „typischem Beginn“ solcher Situationen und schreibt diesen in die erste Zeile des Papierbogens.
- Der Coach fragt nach dem „typischem Ende“ solcher Situationen und notiert dieses in der letzten Zeile des Blatts.
- Der Coach erarbeitet mit dem Coachee systematisch die Entwicklung des Musters (vom Beginn bis zum Ende der Situation) und notiert die einzelnen Schritte in jeweils einer Zeile
Teilschritt 3.2., Farbe 2: Die Schritte (Zeilen) werden identifiziert und markiert, bei denen eine Veränderung durch den Coachee möglich wäre – sofern er dies möchte.
Teilschritt 3.3., Farbe 3: Jene Schritte (Zeilen) werden markiert, bei denen der Coachee tatsächlich etwas verändern möchte.
Teilschritt 3.4., Farbe 4: Gemeinsame Suche nach Verhaltensalternativen, um das in Schritt 2 skizzierte Ziel zu erreichen.
Schritt 4: Erarbeiten der nächsten Schritte – zum Beispiel mit folgenden Fragen::
- „Welche Alternativen erscheinen Ihnen persönlich am sinnvollsten und machbarsten?“
- „Was werden konkrete nächste Schritte Ihrerseits sein?“
- „Welche Hindernisse könnten auftreten?“
- „Wer/was unterstützt Sie bei der Umsetzung?“
- „Wann beginnen Sie mit der Umsetzung?
Intervention 4: Arbeit mit Tierfiguren
Ziel: Bei Konflikten mit einer anderen Person sollen starre Rollenmuster und Befindlichkeiten des Coachees – wie zum Beispiel Angst, (latente) Wut, Ohnmacht, (versteckte) Überlegenheit – auf intuitivem Weg erschlossen werden. Danach soll ein empfundenes „Machtgefälle“ durch ein anderes kommunikatives Verhalten oder durch einen Zugriff auf eigene Ressourcen ausgeglichen werden.
Dauer: 20 bis 50 Minuten
Benötigtes Material: Verschiedene Tierfiguren aus dem Spielwarenhandel; ersatzweise Bilder oder Illustrationen von Tieren.
Vorgehen:
Schritt 1: Der Coach lädt den Coachee ein, sich kurz in die Tierwelt zu versetzen: „Welches dieser Tiere wäre Ihr Konfliktpartner?“ „Welches Tier wären Sie?“
Schritt 2: Der Coachee platziert die entsprechenden Tiere auf dem Tisch. Diese Wahl wird reflektiert: Welche Eigenschaften, welches Verhalten assoziiert der Coachee mit den beiden Tieren? Welches Verhältnis zwischen ihnen resultiert aus ihren Unterschieden?
Schritt 3: Der Coach fragt den Coachee, welches Tier er gerne stattdessen wäre.
Schritt 4: Der Coachee wählt das entsprechende Tier und setzt es an die Stelle des vorigen „Repräsentanten“.
Schritt 5: Es folgt eine Reflexion, was nun anders wäre und was der Coachee stattdessen tun oder sagen würde.
Schritt 6: Es wird erarbeitet, wer oder was den Coachee dabei unterstützen kann, diese Eigenschaften zu entwickeln; was ihn dazu ermutigen kann, dieses Verhalten zu zeigen (zum Beispiel innere/äußere Ressourcen, Vorbilder, „Belohnungen“, konkrete Ziele).
Von allen genannten Inventionen gibt es Varianten. Selbstverständlich können auch Sie diese modifizieren – Sie sollten dies sogar situationsabhängig tun. Denn je größer Ihr Repertoire an möglichen Interventionen ist, umso flexibler können Sie abhängig vom Gegenüber und von der Konfliktsituation und -konstellation agieren. Bauen Sie deshalb Ihren Schatz an Interventionsmethoden aus.