Frischgebackene Führungskräfte haben, wenn sie ihre erste Führungsposition übernehmen, noch keine Führungserfahrung. Entsprechend unsicher sind sie. Deshalb begehen sie in der Startphase oft weitreichende Fehler.
Ein 34-jähriger Wirtschaftsinformatiker tritt seine erste Führungsposition an – als Leiter der IT-Abteilung. Beschwingt macht er sich ans Werk und gestaltet in den ersten Tagen zentrale Arbeitsabläufe in der Abteilung um. Danach beschäftigt er sich wochenlang vor allem mit dem Austüfteln eines neuen Projektmanagementsystems. Mit ihm will er bei der Firmenleitung punkten.
Die Mitarbeiter lassen anfangs vom Elan ihres neuen Vorgesetzten inspirieren. Hoch motiviert arbeiten sie – auch weil bei einem Führungswechsel die Karten in dem Bereich teilweise neu gemischt werden. Also möchte jeder dem neuen „Chef“ sein Können beweisen. Doch dann fällt ihre Leistung spürbar ab. Warum?
Die Mitarbeiter integrieren
Der neue Leiter der IT-Abteilung versäumte es, seine Mitarbeiter „ins Boot“ zu holen. Er informierte sie weder über seine Arbeit, noch nutzt er ihre Erfahrung. Deshalb fragten sich seine Mitarbeiter irgendwann: Womit beschäftigt der sich eigentlich den ganzen Tag? Die frischgebackene Führungskraft vermittelte ihren Mitarbeitern auch keine Vision, wie sich die Zusammenarbeit künftig gestalten soll. Sie verständigte sich mit ihnen auch nicht auf Ziele, die es bei der gemeinsamen Arbeit zu erreichen gilt. Also legten die Mitarbeiter sich anfangs zwar ins Zeug, um dem Neuen zu signalisieren: Ich bin ein Top-Mitarbeiter. Doch dann registrierten sie: Unser neuer Chef ist weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Also schalten sie ein, zwei Gänge runter. Das heißt: Ihr Elan erlahmte – auch weil ihnen die nötige Orientierung im Arbeitsalltag fehlte.
Die richtige Entwicklung junger Führungskräfte
Wie können junge Führungskräfte solche Prozesse vermeiden? Eine Führungskraft sollte in der Startphase, bevor sie Dinge umkrempelt, in Gesprächen mit ihren Mitarbeitern zunächst ermitteln:
- Wie war die Arbeit in dem Bereich bisher strukturiert?
- Von welchen Maximen ließen sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit leiten? Und:
- Welche Vorstellungen haben sie bezüglich der künftigen Zusammenarbeit?
Danach sollte sie ihren Mitarbeitern vermitteln,
- inwieweit ihre Erwartungen realistisch sind,
- welche (übergeordneten) Ziele es bei der Zusammenarbeit zu erreichen gilt und
- welche Rolle sie selbst beim Erreichen der gemeinsamen Ziele spielen.
Die Führungskraft sollte zudem mit jedem Mitarbeiter im Vier-Augen-Gespräch klären: Wo stehen Sie? Wo wollen Sie hin? Und: Was brauchen Sie, um diese Ziele zu erreichen? Erst wenn sie diese Info hat, sollte sie Abläufe und Zuständigkeiten neu definieren.
Dabei sollten Führungskräfte stets vor Augen haben: Ihre Leistung wird an der Leistung des Teams gemessen. Also ist ihr beruflicher Erfolg weitgehend abhängig von den Personen, die ihnen untergeben sind. Das ist vielen jungen Führungskräften nicht ausreichend bewusst.
Auf Führungsaufgaben konzentrieren
Der neue Abteilungsleiter beging einen weiteren Fehler: Er investierte die meiste Zeit und Energie in Fachaufgaben. Solche Aufgaben sollten Führungskräfte nur erledigen, wenn dies außer ihnen niemand tun kann. Sonst fehlt ihnen die erforderliche Zeit für ihre Führungs- und Steuerungsaufgaben. Hierzu zählen auch alle Gespräche, die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern führen müssen, damit diese ihren Beitrag zum Erreichen der Bereichs-/Unternehmensziele leisten (können). Die hierfür benötigte Zeit unterschätzen Führungsnachwuchskräfte oft.
Arbeitsanalysen zeigen: Viele Führungskräfte verwenden 80 Prozent ihrer Zeit auf Fachaufgaben; nur zu jeweils 10 Prozent sind sie mit Steuerungs- und Führungsaufgaben beschäftigt. Dabei sollte das Verhältnis nahezu umgekehrt sein. Als Faustregel gilt: Führungskräfte sollten höchstens 20 Prozent ihrer Zeit für Fachaufgaben verwenden, und jeweils 40 Prozent für Steuerungs- und Führungsaufgaben. Denn Führungskräfte werden nicht dafür bezahlt, Fachaufgaben zu erfüllen.
Die Leistung sicherstellen
Die Hauptaufgabe von Führungskräften ist: Sie müssen dafür sorgen, dass jeder Mitarbeiter seinen Beitrag dazu leistet, dass ihr Bereich beziehungsweise das Unternehmen seine Ziele erreicht. Doch wie lässt sich die hierfür nötige Leistung erzeugen? Das wissen junge Führungskräfte oft nicht. Unabdingbar hierfür ist, dass Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern regelmäßig über ihre Erwartungen an sie sprechen.
Vor diesen Gesprächen sollten sie sich überlegen:
- Wie kann ich dem Mitarbeiter die Ziele, die er bei seiner Arbeit erreichen soll, so vermitteln, dass er deren Bedeutung erkennt? Und:
- Wie motiviere ich ihn dazu, dass er die für das Erreichen der Ziele nötigen Dinge wirklich tut?
In diesen Gesprächen sollten Führungskräfte folgende Regel beherzigen: Stellen Sie nie das Ziel, das es zu erreichen gilt, zur Diskussion. Denn dieses ist nicht diskutabel! Sprechen Sie mit den Mitarbeitern nur über den Weg, wie sie dieses Ziel erreichen möchten. Denn wenn ein Mitarbeiter mitentscheiden kann, wie er beim Erreichen der gesteckten Ziele vorgeht, ist er in der Regel motivierter, als wenn ihm jeder Arbeitsschritt vorgeschrieben wird. Außerdem entlastet es die Führungskraft, wenn ihre Mitarbeiter weitgehend selbstständig entscheiden, wie sie ihre Aufgaben erfüllen.
Ungeachtet dessen gibt es Situationen, in denen Arbeitsanweisungen sinnvoller als Zielvorgaben sind – zum Beispiel bei extremem Zeitdruck. Wenn ein Schiff sinkt, kann der Kapitän nicht mit der Mannschaft darüber diskutieren, ob die Rettungsboote ins Wasser gelassen werden. Er muss knappe und präzise Befehle erteilen. Intelligente Mitarbeiter akzeptieren das. Eine Führungskraft sollte daher ihr Führungsverhalten stets der Situation und dem Gegenüber anpassen. Erbringt zum Beispiel ein Mitarbeiter eigeninitiativ die erforderliche Leistung nicht, dann muss er an der „kurzen Leine“ geführt werden – also weitgehend mittels Arbeitsanweisungen.
Die Zielerreichung steuern und kontrollieren
Das „Ziele vereinbaren“ oder „Anweisen“ ist jedoch nur der erste Schritt im Führungsprozess. Denn wenn ein Mitarbeiter das Ziel kennt, muss er seine Aufgaben auch erfüllen. Dieses Umsetzen sollten Führungskräfte kontrollieren. Sonst können sie irgendwann nur noch registrieren: Die Ziele wurden nicht erreicht. Ein Gegensteuern ist nicht mehr möglich.
„Kontrollieren und steuern“ lautet also der zweite Schritt im Führungsprozess. Die Kontrolle kann sich, je nach Mitarbeiter und Bedeutung der Aufgabe, auf das Erreichen bestimmter Teilziele oder das Durchführen der hierfür nötigen Arbeitsschritte beziehen. Was der Situation und dem Mitarbeiter angemessen ist, müssen Führungskräfte jeweils neu entscheiden. Klar sollte ihnen aber sein: Ein Mitarbeiter, den sie an der kurzen Leine führen müssen, verursacht ihnen Mehrarbeit. Also ist seine Arbeit weniger wert. Das sollten sie ihm, sofern nötig, auch sagen.
Auf die Kontrolle folgt im Regelkreis des Führens das Anerkennen oder Kritisieren der Leistung des Mitarbeiters. Doch wie erkennt eine Führungskraft, ob die Leistung von Mitarbeitern angemessen ist? Und soll sie diese für alles Erreichte und Getane loben? Die Antwort lautet: jein. Führungskräfte sollten zwischen Lob und Anerkennung sowie Tadel und Kritik unterscheiden. Lob und Tadel sind sie immer persönlich und allgemein. Anerkennung und Kritik hingegen beziehen sich auf eine bestimmte Leistung. Deshalb sollten sie stets sachlich und konkret sein. Anerkennung und Kritik sollten Führungskräfte in der Regel nur unter vier Augen äußern.
Nicht vorschnell entscheiden und agieren
Ein weiterer Tipp für frischgebackene Führungskräfte: Im Führungsalltag führen meist viele Wege zum Erfolg. Nur einer nicht: Von Anfang an alles anders machen zu wollen als der Vorgänger. Denn dies produziert in der Regel Widerstand. Außerdem fehlt Ihnen hierfür als Neuer in der Abteilung meist die nötige Information. Treffen Sie deshalb, wenn Sie eine neue Führungsposition antreten, in den ersten zwei, drei Wochen keine wegweisenden Entscheidungen. Bemühen Sie sich vielmehr zunächst darum, die Arbeitsweise und die Handlungsabläufe in Ihrer Abteilung kennen zu lernen. Und sagen Sie dies auch Ihren Mitarbeitern. Denn viele Führungskräfte schaufelten sich schon ihr Grab, weil sie in der Startphase vorschnell weitreichende Entscheidungen trafen oder ihren Mitarbeitern Versprechen gaben, die sie dann nicht einlösen konnten.
Über den Autor:
Reiner Voss ist Geschäftsführerin des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss+Partner, Hamburg.