„Gut“ und „schlecht“ – mit solch moralischen Kategorien wird Widerstand oft bewertet. Entsprechend emotional verläuft häufig die Diskussion über Changevorhaben, und entsprechend verhärtet sind die Fronten – nicht nur in Unternehmen. Das erschwert die Konfliktlösung und das Managen der Changeprojekte.
Widerstand ist abhängig von der Perspektive entweder „gut“ oder „schlecht“. So war zum Beispiel „la résistance““, also der französische Widerstand gegen die deutschen Besatzer während des 2. Weltkriegs, aus Sicht der Nazis ein Übel, das es zu bekämpfen galt. Aus Sicht der allermeisten Franzosen waren die Widerstandskämpfer jedoch Helden. Und die Demonstranten auf dem Taksim Platz in Istanbul? Waren das freiheitliebende Menschen oder Chaoten, die es zu vertreiben und inhaftieren galt? Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Der Widerstand hat stets zwei Gesichter. Je nachdem aus welcher Perspektive man ihn betrachtet, ist er entweder „gut“ oder „schlecht“. Nicht nur bei gesellschaftlichen Changeprojekten und -prozessen, sondern auch bei entsprechenden Projekten und Prozessen in Unternehmen.
Change-Manager und -Berater begegnen dem Phänomen Widerstand bei ihrer Arbeit täglich. Da beschließt das Management eines Unternehmens zum Beispiel eine neue Strategie oder Reorganisation und sofort stellen sich – mehr oder minder offen – die entsprechenden Gegenreaktionen von Seiten der Mitarbeiter ein. Und schnell ist klar: Mit diesem Widerstand muss gearbeitet werden, sonst scheitert das Vorhaben. Also werden Pläne geschmiedet, wie Verständnis für das Vorhaben des Managements erzeugt und die Belegschaft als Mitstreiter gewonnen werden kann. Doch leider wird bei der Planung oft vergessen, zu klären, woran sich der Widerstand genau entzündet. Dabei wäre dies nötig. Denn wer nicht versteht, weshalb Menschen opponieren, kann diese zwar ruhig stellen, aber nicht gewinnen. Bei der nächstbesten Gelegenheit flammt ihr Widerstand wieder auf.
„Gut“ versus „schlecht“
Widerstand hat stets einen Auslöser – nämlich die fehlende oder (geplante oder) bereits vollzogene Veränderung. Widerstand kann sich also regen, weil sich nichts verändert, und weil sich etwas verändert. Das heißt: Der Widerstand kann sowohl veränderungsauslösende, als auch bewahrende Kräfte haben. In jedem Fall ist er jedoch ein Auflehnen gegen die Führung. Und in beiden Fällen ist das gedankliche Grundmuster des Widerstands das Gleiche: Wir sind die „Guten“, die das Bestehende bewahren beziehungsweise verändern. Und die anderen? Sie sind die „Schlechten“ oder „Bösen“ – die zum Beispiel nur an die Aktionärsinteressen oder ihre eigenen Interessen denken. Oder die Markterfordernisse nicht sehen. Oder nicht erkennen, was technisch möglich oder nötig ist.
Dieser Mind-Set ist das Fundament für die aus dem Widerstand geborenen Konflikte. Denn wer ideologisch felsenfest davon überzeugt ist, der „Gute“ zu sein, dem fällt es leicht, im Namen des „Guten“ entweder selbst unmoralische Dinge zu tun oder der anderen Seite ein entsprechendes Verhalten zu unterstellen – ganz gleich auf welcher Seite der Konfliktparteien er steht. Deshalb werden in der Auseinandersetzung um Veränderungsprojekte auch so häufig solch moralisierende Begriffe wie ungerecht, unfair, unredlich, unzulässig, unanständig, unsachlich, parteiisch und unangemessen verwendet. Sie sind unmissverständliche Anzeichen dafür, dass in einer Organisation ein (Interessen-)Konflikt tobt.
Phasen des Widerstands
Es gibt viele Modelle zum Erklären des Verlaufs von Changeprozessen. Auf den Nenner gebracht unterscheiden sie in ihnen vier Phasen, die mit ebenso vielen Grundhaltungen korrespondieren.
Erste Phase: Leugnung.
Verdrängung ist ein beliebtes Mittel, sich nicht mit einer (angedachten oder geplanten) Veränderung auseinandersetzen zu müssen. Das heißt: Die Menschen wollen die Veränderung nicht wahrhaben. Sie tun so, als ob gäbe es diese nicht. Eine neue Arbeitsweise wird beispielsweise eingeführt, doch niemand arbeitet danach – jedoch nicht aus aktivem Protest, sondern aus einem unbewussten Prozess des Nicht-Ernstnehmens der Veränderung.
Zweite Phase: Aggression.
In dieser Phase treten die Konflikte zutage. Die Emotionen kochen hoch. Sachargumente werden nicht gehört. Es regieren Enttäuschung und Wut. Ein Sündenbock muss her, an dem man seine Aggression auslassen kann. In dieser Phase sind konstruktive Dialoge selten möglich.
Dritte Phase: Resignation.
Die Wut ist verpufft, das Trauern beginnt. Das heißt, die Betroffenen lassen sich allmählich auf die Veränderung ein. Nun gilt es zum Beispiel als Führungskraft, Verständnis zu zeigen. Denn ohne ein Trauern, also Abschied-nehmen, gibt es keinen richtigen Neuanfang.
Vierte Phase: Akzeptanz und Start.
Nun erst sind ein echter Dialog und eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Fakten möglich. Leider versuchen die Verantwortlichen bei Changeprojekten oft, schon in der Phase der Wut oder Trauer die Betroffenen mit sachlogischen Argumenten zu überzeugen und verstehen nicht, warum sie kein Gehör finden.
Nicht jeder Widerstand mündet in einen heißen Konflikt. Viel schlimmer sind die kalten Konflikte – also die passiven Formen des Widerstands. „Dienst nach Vorschrift“ ist so eine Form des Widerstands, bei dem man den Mitarbeitern zwar wenig vorwerfen kann, sie aber kein Engagement zeigen: Die sogenannte Extra-Meile wird nicht mehr gegangen. Das Problem dieser Art des Widerstands ist: Er wird häufig nicht erkannt. Denn nach außen ist alles okay. Die Verantwortlichen wundern sich sogar, wie wenig Widerspruch die Veränderung auslöst. Sie bekommen aber kein echtes, ehrliches Feedback und wiegen sich in falscher Sicherheit, denn in dieser Logik ist auch Sabotage ein typisches Verhaltensmuster.
Betroffen oder nur beteiligt?
Unter Changemanagement-Experten kursiert das Bonbon: „Change Management ist wie das Projekt ‚Herstellen von Rührei mit Speck‘. Hierfür benötigt man ein Huhn und ein Schwein. Das Huhn ist am Projekt beteiligt, das Schwein ist betroffen.“
Viele Veränderungen werden von „Hühnern“ getrieben – also Menschen, die in dem Projekt nicht wirklich etwas verlieren. Mit den „Schweinen“, also den echten Verlierern, wird die Auseinandersetzung über die Verluste jedoch nicht ausreichend geführt. Sie werden weder klar benannt, noch kommen sie auf den Tisch sind und werden diskutiert. Folglich werden auch die (Interessen-)Konflikte nicht gelöst.
Bei den Betroffenen gilt es drei Kategorien zu unterscheiden.
Echte Verlierer: Menschen, die große Nachteile haben werden, und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.
Privileg-Verlierer: Die meist viel größere Gruppe. Hierbei handelt es sich um Menschen, die gewisse Privilegien haben, und Gefahr laufen, diese zu verlieren. Diese Gruppe argumentiert selten mit den wahren Gründen, warum sie gegen die Veränderung ist, stattdessen eröffnet sie Nebenkriegsschauplätze.
Schein-Verlierer: Bei ihnen überwiegen die aus Unsicherheit resultierenden Ängste vor der Veränderung. Ihr Widerstand resultiert eher aus der Gefahr, eventuell die aktuelle Komfort-Zone verlassen zu müssen. Das Bestehende kennt man, das Neue nicht. Gerne übertreiben Schein-Verlierer die Risiken und Gefahren, um den Status-Quo nicht verlassen zu müssen.
Egal, wie man es dreht, aus einer Denkfalle müssen Change-Verantwortliche entkommen: der Falle, den Widerstand nur als ein Problem zu sehen. Denn Widerstand ist eine Voraussetzung für Veränderung. Statt ihn zu bekämpfen, sollten sie ihn umarmen. Gute Widerstandsmanager sind gute Change-Manager!
Über den Autor:
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die über 100 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist u.a. Autor des „Change Management Handbuch“ und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.