„Drei Dinge treiben den Menschen in den Wahnsinn. Die Liebe, die Eifersucht und das Studium der Börsenkurse.“ In Anlehnung an das Bonmot des Ökonomen John Keynes könnte wohl noch ein viertes Ding hinzugefügt werden: die tickende Uhr. Und mit ihr die flüchtige Zeit, von der immer zu wenig da zu sein scheint.
Aber es gibt Gegenmittel. Eines davon sei hier empfohlen.
Ach, du kostbare Zeit
Zeit war schon immer etwas Luxuriöses und Kostbares – weil begrenzt verfügbar und nicht vermehrbar. Allein ihre Endlichkeit macht sie unbezahlbar. Und nicht nur, dass es von ihr schon immer schon zu wenig gab, sie schien schon immer zu schnell zu vergehen. Wie meinte noch meine Mutter an ihrem 85. Geburtstag, rückblickend auf ein langes und doch so kurzes Leben: „Mein Gott, wo ist denn bloß die Zeit hingekommen?“ Dabei ist das rätselhafte Flüchtigkeitsgefühl früheren Generationen oder der sogenannten „Alten“ in unserer eiligen Gegenwart präsenter denn je. Auch – oder gerade – bei Jüngeren. Denn Eiligkeit wurde zur Heiligkeit erhoben. Jetzt rächt sie sich in Form rapider Flüchtigkeit und Knappheit.
Ach, du unliebe Zeit
„Ach, du liebe Zeit!“ Wer kennt ihn nicht, diesen oft gedachten, gehörten, gesagten Seufzer. Er lässt ein bedauerndes, jedenfalls wehmütiges „Du unliebe Zeit!“ mitschwingen. So als würde sie uns etwas antun, ungerecht mit uns verfahren. Dabei ist Zeit ein höchst demokratisch verteiltes Gut. Wir alle haben täglich gleich viel davon zur Verfügung: exakt 24 Stunden, 1440 Minuten oder 86400 Sekunden. Rein quantitativ besteht also absolute Chancengleichheit. Den Unterschied macht die Qualität der erlebten Zeit. Qualität meint den Gehalt, den Tiefgang dessen, was und wie wir etwas (er-)leben. Und Zeitqualität hat unmittelbar mit Sinn(es)erfahrung zu tun. Mit einem Ganz-bei-sich-Sein. Mit Gegenwärtigkeit. Wer hingegen außer sich ist, ist auch besinnungslos. Er verliert den Sinn. Und Zeit.
Ach, du geliebte Zeit
Sich mit Hingabe in etwas verlieren und vertiefen können, in einer Sache aufgehen, bedeutet letztlich Gewinn: Zeit. Sinn. Halt. Die bedrohlich flüchtige Zeit wird so zur geliebten und gelebten Zeiterfahrung. Es mag trivial klingen, aber anhand kleiner (Meditations- & Achtsamkeits-)Übungen wie folgender kann diese Erfahrung neu entdeckt und vertieft werden. Sie lassen den plappernden Geist zur Ruhe kommen und stärken die Fähigkeit, abschalten zu können bzw. konzentriert ganz bei sich zu bleiben. Oder wie es ein Zen-Lehrer famos ausdrückte: „Meditation ist das geduldige Zurückkommen zum Atmen.“
1 Minute für mich: „Atem schöpfen“
Augen schließen und etwa 1 Minute nichts anderes tun, als ruhig ein- und ausatmen.
Beim Einatmen innerlich langsam bis drei zählen. Dabei die Vorstellung verknüpfen, man würde köstlich frisches Wasser aus einem Brunnen schöpfen. Wasser als Inbegriff von Leben und Lebendigkeit, so wie Atem. Der Vorteil des inneren Mitzählens: Man bleibt eher dran, lässt sich nicht so leicht ablenken und macht weniger Atemzüge als im hektischen Normalbetrieb.
Beim Ausatmen gedanklich in die Weite atmen, über alle Grenzen hinaus, entlastend, befreiend. Möglichst vollständig ausatmen, ohne zu pressen. So kommt viel frischer Sauerstoff in die Lunge. Körper und Geist regenerieren sich.
Regelmäßige „1 Minute für mich“-Rituale sind eine Liebeserklärung an das, was uns immer häufiger fehlt: Zeit. Aber wenn wir sie lieben und pflegen, treibt sie uns niemals in den Keynes`schen Wahnsinn. Sondern können ihr gelassen(er) entgegengehen.
Über den Autor:
Mag. Dr. Franz J. Schweifer ist Geschäftsführer des Beratungsinstituts „Die ManagementOASE – Schweifer & Partner, Coaching.Training.Consulting.“ in Mödling b. Wien. Als Zeitforscher, FH-Lektor, Managementtrainer & Coach mit über 20 Jahren Beratungserfahrung hat er sich v.a. auf ZEIT-relevante Themen spezialisiert.
Aktuelle Publikation: Zeit – Macht – Ohnmacht
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