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„We don’t see things as they are, we see things as we are.”

Dieses Zitat der französisch-amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin macht deutlich, dass unsere Wahrnehmung von unserer ganz persönlichen Prägung abhängt. Diese Wahrnehmung und Interpretation machen das internationale Geschäftsleben manchmal schwierig.

Internationale Zusammenarbeit betrifft (fast) alle

Interkulturelle Kompetenz wird oft als die Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts beschrieben. Die Auseinandersetzung mit interkulturellen Themen beschränkt sich in vielen Unternehmen jedoch auf das Management und auf Expatriates, die für einen längeren Zeitraum im Ausland arbeiten und leben oder auf Trainings im Bereich „Knigge international“.

Dabei ist es mittlerweile Standard, dass auch im Inland beschäftigte Mitarbeiter internationale und interkulturelle Kontakte haben: Sie arbeiten in gemischtkulturellen Projekten, sie stehen in Mail- und Telefonkontakt zu ausländischen Kunden, Geschäftspartnern oder Kollegen in den Auslandsniederlassungen. Und genau diese Zusammenarbeit ist noch viel zu oft von interkulturellen Missverständnissen geprägt. Warum?

Die Ähnlichkeitsfalle

Die internationale Businesswelt benutzt das gleiche Smartphone, trägt ähnliche Anzüge und Kostüme, Konferenzräume sind mit den gleichen Möbeln ausgestattet. Unsere koreanischen Geschäftspartner kennen die gleichen Kinofilme wie wir und nutzen die gleiche App, um ihre persönlichen Sporterfolge zu dokumentieren. Die russische Kollegin liebt den gleichen Designerduft und verfolgt den gleichen Modeblog im Internet.

Und schon tappen wir in die „Ähnlichkeitsfalle“: Stimmen doch so viele Dinge mit den internationalen Kolleginnen, Geschäftspartnern oder Kunden überein, wo sollen die Unterschiede liegen? Na ja, in Asien isst man mit Stäbchen, in den arabischen Ländern gibt man einer Frau nicht die Hand, in Frankreich werden Geschäfte beim Essen geschlossen und in Japan betritt man Räume möglichst ohne Schuhe. Und wenn Verhandlungen so völlig anders ablaufen, dann sind „die Chinesen“ eben noch nicht so geübt im Harvard-Modell und „lernen das schon noch“ von uns.

Kultur ist ein Eisberg

Leider beschränken sich kulturelle Unterschiede nicht auf die klassischen Etikette-Themen wie Begrüßung, Verhalten beim Business Dinner oder die berühmte Visitenkartenübergabe. Man könnte auch sagen, dass an einer falsch überreichten Visitenkarte noch kein Geschäftsabschluss gescheitert ist, an nicht verstandenen Hierarchien und der Nichtbeachtung verborgener Kommunikationsregeln schon.

Beim Zusammentreffen mit einer uns fremden Kultur nehmen wir im Sinne der Komplexitätsreduzierung sofort die sichtbaren Anteile, also die Kleidung, die Architektur, die Kunst, die Ausstattung des Unternehmens wahr. Hier entscheidet unser Gehirn, was uns vertraut ist und wie diese vertrauten Dinge interpretiert werden. Und schon sind wir in die Falle getappt: Diese sichtbaren Teile der Kultur (explizite Kultur) sind Ausdruck der unsichtbaren Anteile, wie zum Beispiel das kulturelle Verständnis von Zeit, Umgang mit Hierarchie, Verständnis von „Wahrheit“ oder das Konzept der Kindererziehung.  Diese unsichtbaren Merkmale haben an unserem Verhalten den größten Anteil – genau wie bei einem Eisberg, bei dem sich ca. 2/3 unter Wasser befinden.

In diesem unsichtbaren Bereich des Eisbergs (implizite Kultur) befinden sich die Werte und Normen, die das menschliche Denken und Handeln in einer Kultur bestimmen. Werte sind emotional, positiv oder negativ. Sie sind Ausdruck der Ziele, die diese Kultur für erstrebens- und wünschenswert hält und bilden die Grundlage des Handels und Tuns. Werte sind äußerst stabil und bleiben über viele Generationen hinweg konstant. Wir lernen mit Werten umzugehen, ohne diese konkret wahrzunehmen und beurteilen andere unter Heranziehung dieser Werte und interpretieren ihr Verhalten als Ausdruck der darunterliegenden Werte.

Normen sind Verhaltensregeln, die entweder explizit aufgestellt sind (Gesetze, Verkehrsregeln, usw.) oder implizit „verhandelt“ wurden (Umgangsregeln) und garantieren damit die Durchführung der Werte im Alltag. Ein Verstoß gegen Normen wird „bestraft“ – mit formalen Strafen wie einer Verurteilung oder informellen Strafen, wie das Meiden dieser Person in bestimmten Situationen. Diese Grundannahmen bilden die tiefste Schicht im Eisbergmodell und basieren auf den fundamentalen Antworten einer Kultur auf die elementaren Überlebensfragen.

Kann man „Kultur“ erlernen?

Ja, kann man! Wenn man bereits ist, sozusagen, um im Bild zu bleiben, tief unter die Wasseroberfläche zu tauchen und nicht nur am Eisberg vorbeizufahren. Das bedeutet, dass es für ein tieferes Verständnis einer uns fremden Kultur nicht ausreicht, einen der vielen Knigge-Ratgeber zu lesen. Hier werden meist nur die sichtbaren Anteile angesprochen.

Die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur bedeutet, dass wir uns mit fachlicher Handlungskompetenz (Wie werden Aufgaben gelöst?, Welchen Anteil haben Theorie und Praxis im Arbeitsalltag?), mit der methodisch-strategischen Herangehensweise (Wie wird gelernt? ,Wie wird mit Fehlern umgegangen?; Welche Rolle spielt Planung?), mit der sozialen Kompetenz („Wie ist das Rollen- und Hierarchieverständnis?; Welche Rolle spielt das Individuum oder die Gruppe?) und den persönlichen Kompetenzen (Lernbereitschaft, Kritikfähigkeit), die in der fremden Kultur eine Rolle spielen, auseinandersetzen müssen. Das heißt auch, dass interkulturelle Kompetenz keine „zusätzliche“ Kompetenz ist, sondern sich aus den genannten vier Feldern zusammensetzt.

Zum interkulturellen Lernen gehört immer auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur, nur wenn ich meine eigenen Wertvorstellungen kenne und mein Verhalten beurteilen kann, kann ich mich auf andere Sicht- und Verhaltensweisen einlassen. In einem interkulturellen Training wird mit Modellen der Kulturdimensionen, zum Beispiel nach Geert Hofstede oder Richard D. Lewis und / oder mit dem Modell der Kulturstandards nach Prof. Alexander Thomas und Dr. Sylvia Schroll-Machl gearbeitet. Diese Modelle bieten für interkulturelle Fallbeispiele Lösungsansätze und bilden einen Rahmen, andere Kulturen im Vergleich zur eigenen „einordnen“ zu können. Anhand der Arbeit mit Fallbeispielen und bereits gemachter interkultureller Erfahrungen können so die Fähigkeiten, aufmerksam zuzuhören, zu beobachten, zu analysieren und zu deuten trainiert werden. Ein interkulturelles Training kann die Grundlage zur interkulturellen Kompetenz legen – das Lernen geht in der täglichen internationalen Zusammenarbeit weiter und kann zu einer großen Bereicherung werden.

Fazit: Die ernsthafte Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur braucht Zeit und echtes Interesse, sich auf möglicherweise völlig unterschiedliche Wertvorstellungen einzulassen. Tauchen lernt man eben nicht anhand eines Ratgebers und auch nicht an einem Tag!

Über die Autorin:

ElkeMuellerElke Müller, Geschäftsführende Gesellschafterin der compass international gmbh in Stuttgart.

Seit 1996 als Trainerin aktiv mit Trainingsschwerpunkten Interkulturelle Kompetenz, internationale Teamentwicklung, Reintegration nach Auslandsaufenthalten, Diversity. Darüber hinaus berät sie Unternehmen zu Fragen der Internationalisierung im Personalbereich, begleitet Team- und Organisationsentwicklungen und begleitet Prozesse zur Einführung von Diversity in kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Weitere Informationen über Elke Müller

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